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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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diese rollenden roten Augen vergessen und diese fürchterlichen, rußschwarzen Gesichtszüge!«
    »Aber Gespenster sind doch gewöhnlich blass, Jane!«
    »Dieses Gespenst war purpur, Sir. Die Lippen waren geschwollen und dunkel, die Stirn gefurcht, die schwarzen Augenbrauen bildeten einen hohen Bogen über den blutunterlaufenen Augen. Darf ich Ihnen sagen, woran sie mich erinnerte?«
    »Das darfst du.«
    »An das schauerliche deutsche Gespenst – an den Vampir.«
    »Ah! – Und was tat sie?«
    »Sir, sie nahm meinen Schleier von ihrem unförmigen Kopf und riss ihn in zwei Teile, warf diese dann auf den Boden und trampelte mit beiden Füßen voller Wut darauf herum.«
    »Und weiter?«
    »Dann zog sie die Fenstervorhänge zur Seite und blickte hinaus. Vielleicht sah sie, dass der Tagesanbruch nahe war, denn sie nahm darauf die Kerze und ging zur Tür. Gerade neben meinem Bett aber blieb die Gestalt stehen. Ihre entzündeten Augen glotzten mich an – sie hielt mir das Licht dicht ans Gesicht und löschte es dann vor meinen Augen aus. Ich fühlte, wie ihr finsteres Gesicht dem meinen immer näher kam, dann verlor ich das Bewusstsein. Zum zweiten Mal in meinem Leben – erst zum zweiten Mal wurde ich vor Schrecken bewusstlos.«
    »Wer war bei dir, als du wieder zu dir kamst?«
    »Niemand, Sir, nur das helle Licht des Tages. Ich stand auf, kühlte mein Gesicht mit frischem Wasser und trank einen großen Schluck. Obgleich ich matt war, fühlte ich mich doch nicht krank, und so fasste ich den Entschluss, von dieser Vision niemandem Mitteilung zu machen. Jetzt, Sir, sagen Sie mir, wer und was jenes Weib war?«
    »Die Ausgeburt eines überreizten Gehirns, weiter nichts, davon bin ich überzeugt. Ich muss dich sorgsam hüten, mein Schatz. Nerven wie die deinen sind nicht gemacht, um widrige Schicksale zu ertragen.«
    »Sir, verlassen Sie sich darauf, es war nicht die Schuld meiner Nerven. Es war Wirklichkeit, dieses Ereignis hat tatsächlich stattgefunden.«
    »Und deine vorhergehenden Träume? War das auch Wirklichkeit? Ist Thornfield Hall eine Ruine? Bin ich durch unüberwindliche Hindernisse von dir getrennt? Verlasse ich dich ohne eine Träne, ohne einen Kuss, ohne ein Wort?«
    »Noch nicht.«
    »Habe ich denn vor, dies zu tun? Der Tag, der uns für alle Zeiten unauflöslich aneinanderketten soll, ist bereits angebrochen. Und wenn wir einmal verbunden sind, werden diese seelischen Qualen und Schrecken nicht wiederkehren, dafür stehe ich dir ein.«
    »Seelische Qualen und Schrecken, Sir! Ich wollte, ich könnte glauben, dass es nichts anderes wäre. Jetzt wünsche ich es mehr denn je, da selbst Sie mir das Geheimnis dieses fürchterlichen Besuchs nicht erklären können.«
    »Und da ich es nicht kann, ist es auch nicht Wirklichkeit gewesen, Jane.«
    »Aber Sir, als ich mir heute Morgen beim Aufstehen dies alles sagte und im Zimmer umherblickte, um beim Anblick jedes bekannten und lieben Gegenstandes im hellen Tageslicht wieder Mut und Trost zu schöpfen, da sah ich vor mir auf dem Teppich das, was diese Hypothesen deutlich Lügen strafte: den Schleier, welcher in zwei Hälften gerissen am Boden lag!«
    Ich fühlte, wie Mr. Rochester entsetzt und schaudernd zusammenfuhr; hastig umfing er mich mit beiden Armen. »Gott sei Dank«, rief er aus, »dass, falls dir letzte Nacht wirklich etwas Böses nahe gekommen sein sollte, nur dem Schleier etwas zugestoßen ist. Gar nicht auszudenken, was hätte geschehen können!«
    Er atmete schnell und zog mich so fest an sich, dass ich kaum noch atmen konnte. Nach einigen Minuten der Stille fuhr er dann plötzlich fröhlich fort:
    »Nun gut, Janet, ich werde dir das alles erklären. Es war halb Traum, halb Wirklichkeit. Ich zweifle nicht daran, dass eine Frau in deinem Zimmer gewesen ist: Und diese Frau war –
muss
einfach Grace Poole gewesen sein. Du selbst nennst sie eine wunderliche, seltsame Person, und nach allem, was du weißt, hast du ein Recht, sie so zu nennen. Denn bedenke nur, was sie mir getan und was sie Mason angetan hat! In einem Zustand zwischen Wachen und Schlafenbemerktest du ihr Eintreten und ihre Handlungen, aber fieberhaft erregt, fast delirierend, wie du warst, sahst du sie wie einen Kobold, ganz verschieden von ihrer wirklichen Gestalt: Das lange, wirre Haar, das geschwollene schwarze Gesicht, die unnatürliche Gestalt waren Ausgeburten deiner Phantasie, die Resultate eines Albdrückens. Das zornige Zerreißen deines Brautschleiers war Wirklichkeit, denn

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