Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
wo ich von seiner Existenz gehört, hatte ich auch gehofft, ihn eines Tages zu sehen – nun war auch das vorbei. Und dann bekam ja auch nur
ich allein
dieses Vermögen, nicht ich und eine glückliche Familie, nur mein einsames Ich! Doch zweifellos war es eine großartige Gabe, und Unabhängigkeit musste ein gar köstliches Ding sein – ja, das fühlte ich. Allein der Gedanke ließ mein Herz vor Wonne erzittern.
»Endlich blicken Sie wieder auf«, sagte Mr. Rivers. »Ich glaubte, Medusa habe Sie angeblickt, und Sie wären zu Stein geworden. Vielleicht wollen Sie mich jetzt auch fragen, wie viel Sie wert sind?«
»Wie viel bin ich denn wert?«
»Oh, eine Kleinigkeit, kaum erwähnenswert. Nur zwanzigtausend Pfund, glaube ich, wurde gesagt. Aber was ist das schon?«
»Zwanzigtausend Pfund?«
Dies war ein neues Erstaunen für mich, ich hätte mit vier- oder fünftausend Pfund gerechnet. Die Nachricht raubte mir in der Tat für einen Augenblick den Atem. Mr. St. John, den ich noch niemals lachen gehört hatte – Mr. St. John lachte jetzt über mich!
»Nun«, sagte er, »wenn Sie einen Mord begangen hätten und ich Ihnen sagte, dass Ihre Tat entdeckt wäre, so könnten Sie nicht bestürzter aussehen.«
»Das ist eine ungeheure Summe – glauben Sie nicht, dass hier irgendein Irrtum vorliegt?«
»Durchaus kein Irrtum.«
»Vielleicht haben Sie die Zahlen falsch gelesen – es werden zweitausend sein!«
»Es ist in Buchstaben geschrieben, nicht in Zahlen: zwanzigtausend.«
Mir war ungefähr so zumute wie einem Menschen, der über ein normales Essvermögen verfügt und sich allein an einer Tafel niederlässt, welche mit Speisen für hundert Personen gedeckt ist. Jetzt erhob sich Mr. Rivers und nahm seinen Mantel.
»Wenn es nicht ein so stürmischer Abend wäre«, sagte er, »so würde ich Hannah heruntersenden, um Ihnen Gesellschaft zu leisten. Sie sehen so verzweifelt und unglücklich aus, man sollte Sie nicht allein lassen. Aber das arme Weib, die Hannah, könnte nicht so gut durch die Schneewehen kommen wie ich; ihre Beine sind nicht ganz so lang. Daher muss ich Sie schon einsam Ihrem Kummer überlassen. Gute Nacht!«
Er griff schon nach der Klinke, da kam mir ein plötzlicher Gedanke.
»Warten Sie eine Minute«, rief ich.
»Nun?«
»Es macht mir Kopfzerbrechen, weshalb Mr. Briggs an Sie über mich schrieb, oder woher er Sie kannte und wie er glauben konnte, dass Sie, der Sie in einem so weltentlegenen Winkel wohnen, die Macht besäßen, ihm zu meiner Entdeckung behilflich zu sein.«
»Oh, ich bin ein Pastor«, sagte er, »und an die Geistlichen wendet man sich oft in den seltsamsten Angelegenheiten.« Wieder griff er die Klinke.
»Nein, das genügt mir nicht!«, rief ich aus. Und in der Tat lag etwas in der hastigen, unklaren Antwort, das meine Neugierde nur noch mehr reizte, anstatt sie zu befriedigen.
»Das ist eine seltsame Geschichte«, fügte ich hinzu, »und ich muss noch mehr darüber erfahren.«
»Ein anderes Mal.«
»Nein, heute Abend. Heute Abend!«
Als er sich von der Tür abwandte, stellte ich mich zwischen diese und ihn. Er sah ziemlich verlegen aus.
»Sie werden bestimmt nicht gehen, bevor Sie mir nicht alles erzählt haben!«, sagte ich.
»Erlassen Sie mir das, für den Augenblick wenigstens.«
»Sie werden – Sie müssen!«
»Ich hätte lieber, dass Diana oder Mary mit Ihnen darüber sprächen.«
Natürlich machten seine Einwendungen mich nur noch erregter. Mein Verlangen, alles zu erfahren, hatte den höchsten Grad erreicht, es musste befriedigt werden, und das ohne Verzug. Ich sagte ihm das.
»Ich erklärte Ihnen bereits, dass ich ein starrköpfiger Mann sei«, sagte er, »und schwer zu überreden.«
»Und ich bin ein starrköpfiges Weib, und unmöglich abzuweisen!«
»Überdies«, fuhr er fort, »bin ich kaltblütig; keine Leidenschaft reißt mich hin.«
»Während ich heißblütig bin, und Feuer schmilzt das Eis. Das Holzfeuer dort hat allen Schnee aus Ihrem Mantel geschmolzen, er ist auf meinen Fußboden herabgetropft und hat aus ihm eine schmutzige Straße gemacht. Mr. Rivers, wenn Sie hoffen, dass Sie Vergebung für das Verbrechen finden werden, den sandbestreuten Fußboden meiner Küche beschmutzt zu haben, so sagen Sie mir alles, was ich zu erfahren wünsche!«
»Nun gut«, sagte er, »ich gebe nach, wenn auch nicht Ihrem Ernst, so doch Ihrer Ausdauer. Gerade so, wie der Stein durch einen fortwährenden Tropfen ausgehöhlt wird. Überdies müssen Sie es eines
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