Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
sich wenig darum, ob Sie eine Cousine haben. Ich jedoch hatte niemanden, und jetzt sind plötzlich drei Verwandte – oder nur zwei, wenn Ihnen nichts daran liegt, mitgerechnet zu werden – in Lebensgröße in mein Dasein getreten. Oh, ich sage es noch einmal: Ich bin so glücklich!«
Ich lief im Zimmer umher, dann hielt ich inne. Die Gedanken, welche schneller kamen, als ich sie erfassen, begreifen und ordnen konnte, erstickten mich fast – Gedanken über das, was über kurz oder lang sein konnte, musste und sollte. Ich starrte die kahle Wand an; sie erschien mir wie ein Himmel, der dicht mit leuchtenden Sternen übersät war, und jeder Einzelne von ihnen strahlte mir als eine Möglichkeit entgegen, Freude zu bereiten. Jetzt konnte ich jenen Wohltaten erweisen, die mir das Leben gerettet hatten und die ich bis zu diesem Augenblick nur untätig hatte lieben können. Sie lebten in einem Joch, ich aber konnte sie befreien; sie waren in der Welt zerstreut, ich konnte sie wieder vereinen – die Unabhängigkeit, der Überfluss, dessen ich mich erfreute, konnte auch ihnen zuteil werden. Waren wir denn nicht zu viert? Zwanzigtausend Pfund, in gleiche Teile geteilt, würde für jeden fünftausend geben – mehr alsgenug. Der Gerechtigkeit sollte Genüge geschehen, unser aller Glück gesichert werden. Jetzt lastete der Reichtum nicht mehr schwer auf mir, jetzt war es nicht nur ein Erbe aus Münzen – nein, es war ein Erbe aus Leben, Hoffnung und Freude!
Ich kann nicht sagen, wie ich aussah, während diese Gedanken auf meine Seele einstürmten, aber bald bemerkte ich, dass Mr. Rivers einen Stuhl hinter mich gestellt hatte und sanft versuchte, mich auf denselben niederzudrücken. Er riet mir auch, gefasst zu sein; mich aber empörte seine Anspielung auf meine Hilflosigkeit und Erregtheit, ich schüttelte seine Hand von meiner Schulter und begann von Neuem, auf und ab zu wandern.
»Schreiben Sie gleich morgen an Diana und Mary und teilen Sie ihnen mit, dass sie sofort nach Hause kommen«, sagte ich. »Diana hat mir oft gesagt, dass sie sich für reich halten würden, wenn sie tausend Pfund hätten, folglich werden sie mit je fünftausend Pfund sehr gut leben können.«
»Sagen Sie mir, wo ich Ihnen ein Glas Wasser holen kann«, sagte St. John. »Sie müssen sich wirklich beruhigen und Ihre Gefühle zu beherrschen suchen.«
»Unsinn! Und welche Folgen wird diese Erbschaft für Sie haben? Wird sie Sie in England halten und Sie bewegen, Miss Oliver zu heiraten? Werden Sie sich in Ruhe niederlassen, wie ein gewöhnlicher Sterblicher?«
»Sie phantasieren, Ihre Gedanken verwirren sich. Ich habe Ihnen diese Nachricht zu plötzlich mitgeteilt, es war zu viel für Ihre Kräfte.«
»Mr. Rivers, Sie machen mich wirklich ungeduldig! Ich bin vollkommen vernünftig; Sie sind es, welcher mich missversteht, oder welcher vielmehr vorgibt, mich misszuverstehen.«
»Vielleicht würde ich Sie besser verstehen, wenn Sie sich klarer ausdrückten.«
»Klarer ausdrücken! Was ist denn hier noch klarer auszudrücken? Sie müssen doch einsehen, dass zwanzigtausend Pfund, die infrage stehende Summe, zu gleichen Teilen zwischen dem Neffen und den drei Nichten meines Onkels verteilt, fünftausend Pfund für jeden ergibt? Was ich will, ist, dass Sie an Ihre Schwestern schreiben und ihnen Mitteilung von dem Vermögen machen, welches ihnen zugefallen ist.«
»Ihnen selbst, wollen Sie sagen.«
»Ich habe Ihnen deutlich meine Ansicht über die Sache erklärt; eine andere Sicht vermag ich nicht einzunehmen. Ich bin nicht schonungslos selbstsüchtig, nicht blind ungerecht, nicht verwerflich undankbar. Außerdem bin ich entschlossen, ein Heim zu gründen, mir Verwandte zu schaffen. Ich liebe Moor House, und in Moor House will ich wohnen. Ich liebe Diana und Mary, und bei Diana und Mary will ich mein Leben lang bleiben. Es wird mir ein Segen und eine Freude sein, fünftausend Pfund zu besitzen, aber es würde mich quälen und bedrücken, zwanzigtausend mein eigen zu nennen. Und außerdem könnten sie mir niemals von Rechts wegen gehören, wenn auch das Gesetz sie mir zuspricht. So überlasse ich Ihnen nur das, was für mich absolut überflüssig wäre. Widerspruch und Diskussion in dieser Sache sind ganz und gar nutzlos. Einigen wir uns lieber gleich über diesen Gegenstand und ordnen alles Nötige sofort!«
»Dies hieße, nach der ersten Eingebung zu handeln. Sie bedürfen mehrerer Tage, um die Sache zu überlegen, bevor ich Ihr Wort als gültig
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