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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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jemals erfahren, welchen Schrecken jene kalten Menschen mit ihren eisigen Fragen verursachen können? Wie viel von einem Lawinensturz in ihrem Zorn liegt? Wie sehr ihr Missvergnügen dem Zerbrechen von Eisschollen auf dem Meere gleicht?
    »Nein, St. John, ich werde dich nicht heiraten. Ich bleibe fest bei meinem Entschluss.«
    Die Lawine kam in Bewegung, aber sie stürzte noch nicht talwärts.
    »Noch einmal – weshalb diese Weigerung?«, fragte er.
    »Bisher, weil du mich nicht liebst«, entgegnete ich, »und jetzt, weil du mich beinahe hasst. Wenn ich dich heiraten würde, würdest du mich töten. Du bist jetzt schon im Begriff, dies zu tun.«
    Seine Wangen und Lippen wurden bleich – totenbleich.
    » Ich würde dich töten? Ich töte dich jetzt schon?
Deine Worte sind so, wie du nie reden solltest: gewalttätig, unweiblich, unwahr. Sie verraten einen unglückseligen Gemütszustand und verdienen strenge Zurechtweisung. Sie würden unverzeihlich sein, wenn es nicht die Pflicht des Menschen wäre, seinem Bruder zu verzeihen, und wenn es auch siebenundsiebzigmal wäre.«
    Jetzt hatte ich die Sache zu Ende gebracht. Während ich den ernstlichen Wunsch hegte, die Spur meiner ersten Kränkung aus seiner Seele zu löschen, hatte ich auf jener zähenOberfläche einen weiteren und tieferen Eindruck zurückgelassen, buchstäblich eingebrannt.
    »Jetzt wirst du mich wirklich hassen«, sagte ich. »Es ist ganz nutzlos, den Versuch zu machen, dich zu versöhnen. Ich sehe, jetzt habe ich mir in dir einen ewigen Feind gemacht.«
    Diese Worte waren aber ein erneuter Fehler, ein schlimmerer noch, weil sie der Wahrheit nahekamen. Seine blutlosen Lippen zitterten wie in einem Krampf. Ich wusste, welch eisernen Zorn ich erregt hatte. Das Herz zersprang mir fast.
    »Du missverstehst meine Worte ganz und gar«, sagte ich und erfasste seine Hand. »Ich hatte nicht die Absicht, dich zu verletzen oder zu reizen – wirklich, das wollte ich nicht!«
    Er lächelte unendlich bitter – mit großer Entschiedenheit entzog er seine Hand der meinen. »Und jetzt nimmst du dein Versprechen zurück, vermute ich, und gehst nicht nach Indien?«, sagte er nach langem Schweigen.
    »Doch, ich gehe. Als deine Assistentin«, antwortete ich. Jetzt folgte eine lange Pause. Ich kann nicht sagen, wie hart der Kampf war, den Natur und Barmherzigkeit in dieser Zeit in ihm auskämpften. Aber in seinen Augen funkelten seltsame Strahlen und fremde Schatten flogen über sein Gesicht. Endlich sprach er wieder.
    »Ich habe dir schon einmal die Absurdität des Vorschlags bewiesen, dass ein Mädchen deines Alters einen unverheirateten Mann in meinen Jahren begleiten könne. Ich bewies sie dir mit Argumenten, von denen ich vermuten durfte, dass sie dich hindern würden, jemals wieder auf diesen Plan zurückzukommen. Dass du es dennoch tust, bedaure ich – deinetwegen.«
    Ich unterbrach ihn. Etwas in seinen Worten, das einem fassbaren Vorwurf ähnlich war, gab mir sofort wieder Mut. »Bleib doch bei der gesunden Vernunft, St. John, das grenzt nun wirklich an Unsinn. Du behauptest, entsetzt zu seinüber das, was ich gesagt habe. Du bist aber nicht wirklich empört darüber, denn mit deinem außergewöhnlichen Verstand kannst du weder so abgeschmackt noch so eingebildet sein, meine Meinung misszuverstehen. Noch einmal wiederhole ich es: Ich will deine Mitarbeiterin sein, aber niemals deine Gattin.«
    Wiederum ward er leichenfahl. Aber wie zuvor beherrschte er seine Leidenschaft vollständig. Er antwortete nachdrücklich, aber ruhig:
    »Eine weibliche Mitarbeiterin, die nicht meine Gattin ist, würde mir niemals genügen. Es scheint also, dass du mit mir nicht gehen kannst; wenn du es mit deinem Anerbieten aber ehrlich meinst, so will ich während meines Aufenthalts in der Stadt mit einem Missionar sprechen, dessen Frau eine Mitarbeiterin braucht. Dein eigenes Vermögen wird dich unabhängig von der Hilfe der Missionsgesellschaft machen; auf diese Weise wird dir die Schande erspart, dein Versprechen zu brechen und der Verbindung untreu zu werden, welcher anzugehören du gelobt hast.«
    Wie nun der Leser weiß, hatte ich niemals irgendein förmliches Versprechen gegeben oder war eine Verpflichtung eingegangen, und seine Worte waren auf dieser Grundlage viel zu herrisch und viel zu despotisch. Daher entgegnete ich:
    »Da gibt es keine Schande, kein gebrochenes Versprechen, kein Untreuwerden in diesem Falle. Ich habe nicht die geringste Verpflichtung, nach Indien zu gehen,

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