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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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Haushaltes dasaß, während der Maimond durch die unverhängten Fenster schien und das Kerzenlicht fast überflüssig machte. Er saß über die große, alte Bibel gebeugt und beschrieb aus ihren Blättern die Vision des neuen Himmels und der neuen Erde. Er las davon, wie Gott kommen würde, um unter den Menschen zu wohnen und um alle Tränen von ihren Augen zu trocknen; wie Gott den Gerechten das Versprechen gab, dass der Tod nicht mehr sein würde; dass Leid, Klagen und Schmerzen nicht mehr sein würden, weil das Erste vergangen.
    Die dann folgenden Worte ließen mich seltsam erzittern, besonders, da ich an der leisen, unbeschreiblichen Veränderung in seinem Ton merkte, dass er sich zu mir gewandt hatte, als er sie aussprach:
    »Wer siegt, wird dies als Anteil erhalten: Ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein. – Aber die Feiglinge und Treulosen …«, fuhr er ganz langsam und deutlich fort, »… ihr Los wird der See von brennendem Schwefel sein. Dies ist der zweite Tod.«
    Von diesem Augenblick an wusste ich, welches Schicksal St. John für mich befürchtete.
    Ein stiller, unterdrückter Triumph, vermischt mit einem sehnsüchtigen Ernst, kennzeichnete seine Erklärung der letzten glorreichen Verse dieses Kapitels. Der Vorleser war überzeugt, dass sein Name bereits in dem Lebensbuche des Lammes geschrieben stehe, und er sehnte sich nach der Stunde, wo er Einlass finden würde in die Tore der Stadt, in welche die Könige auf Erden ihre Heiligkeit bringen, die keiner Sonne noch des Mondes bedarf, dass sie in ihr scheinen, denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie und ihre Leuchte ist das Lamm.
    In dem Gebet, welches diesem Kapitel folgte, fasste er all seine Energie zusammen – all sein starrer Eifer erwachte. Er war in heiligem Ernst, er rang mit Gott und war entschlossen zu siegen. Er flehte um Kraft für die Schwachen, um Führung für die Lämmer, welche von der Herde abirrten; um eine Rückkehr, selbst noch in der elften Stunde, für jene, welche durch die Versuchungen der Welt und des Fleisches von dem engen aber rechten Pfade weggelockt wären. Er erbat, er erflehte, er forderte die Gnade, dass das Stigma von den zum Brande Verurteilten genommen werden möge. Ernsthaftigkeit ist stets feierlich: Als ich am Anfang auf das Gebet lauschte, erfüllte mich St. Johns Ernst mit Verwunderung; dann, als er fortfuhr und sich steigerte, rührte der Vorbeter mich, und zuletzt erfüllte er mich mit Furcht. Er empfand die Größe und den Wert seines Vorhabens so aufrichtig, dass jeder, der sein Flehen mit anhörte, nicht umhin konnte, mit ihm zu fühlen.
    Als das Gebet zu Ende war, nahmen wir Abschied vonihm; er beabsichtigte, sehr früh am nächsten Morgen abzureisen. Nachdem Diana und Mary ihn geküsst hatten, verließen sie das Zimmer und befolgten damit, wie ich glaube, einen Wink, welchen er ihnen im Flüsterton gegeben hatte. Dann reichte auch ich ihm die Hand und wünschte ihm glückliche Reise.
    »Ich danke dir, Jane. Wie ich schon sagte, werde ich in vierzehn Tagen von Cambridge zurückkehren; dieser Zeitraum ist dir also noch zur Überlegung gegönnt. Wenn ich dem gewöhnlichen, menschlichen Stolz Gehör schenkte, so würde ich dir nicht mehr von einer Verbindung mit mir reden; aber ich gehorche meiner Pflicht und behalte mein erstes, mein vornehmstes Ziel unentwegt im Auge: Alle Dinge zur Ehre Gottes zu tun. Mein Herr hat lange und schwer gelitten; das werde auch ich tun. Ich kann dich nicht im Zorn der ewigen Verdammnis überlassen. Bereue – entschließe dich, solange noch Zeit ist! Vergiss nicht, wir sollen arbeiten, solange es Tag ist – wir wissen, dass die Nacht kommen wird, in welcher man nicht mehr arbeiten kann. Denk an das Schicksal des reichen Mannes im Evangelium, welcher alle Güter dieses Lebens besaß. Gott gebe dir Kraft, jenen besseren Teil zu erwählen, der dir nicht geraubt werden kann!«
    Als er diese letzten Worte sprach, legte er die Hand auf meinen Kopf. Er hatte ernst und milde gesprochen, sein Blick war aber nicht der eines Liebenden, der seine Geliebte anblickt – es war der eines Hirten, der seine zerstreute Herde zusammenruft, oder eher noch der eines Schutzengels, welcher über die Seele wacht, für welche er verantwortlich ist. Alle Männer von Begabung, ob sie Gefühlsmenschen sind oder nicht, ob sie Eiferer, Strebende oder Despoten sind, haben – vorausgesetzt, dass sie es ehrlich meinen – ihre erhabenen Augenblicke, in denen sie besiegen und herrschen. Ich

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