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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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besonders nicht mit Fremden. Mit dir zusammen würde ich viel gewagt haben, weil ich dich bewundere, dir vertraue und dich liebe wie eine Schwester den Bruder. Aber ich bin auch zugleich fest überzeugt, dass ich, wann und mit wem ich auch ginge, in jenem Klima nicht lange leben würde.«
    »Ah! Du fürchtest für deine Person«, sagte er mit spöttisch verzogenen Lippen.
    »Das tue ich. Gott hat mir mein Leben nicht gegeben, dass ich es fortwerfe. Und jetzt beginne ich zu glauben, dasses einen Selbstmord begehen hieße, wenn ich täte, was du von mir verlangst. Überdies will ich, bevor ich mich entschließen würde, England zu verlassen, sicher sein, dass ich in meinem Vaterland nicht von größerem Nutzen sein könnte, als anderswo.«
    »Was soll das heißen?«
    »Es würde nutzlos sein, wenn ich versuchen wollte, das zu erklären. Aber es gibt einen Punkt, über den ich schon lange in qualvollem Zweifel bin; und ich kann mich nirgends hinbegeben, bevor dieser Zweifel nicht ausgeräumt ist.«
    »Ich weiß, wohin dein Herz dich zieht und an wem es hängt. Das Interesse, welches du hegst, ist unheilig und gegen das Gesetz. Schon lange hättest du es ersticken sollen, und jetzt müsstest du erröten, es nur zu erwähnen. Du denkst an Mr. Rochester!«
    Es war wahr. Durch mein Schweigen bestätigte ich es.
    »Willst du Mr. Rochester aufsuchen?«
    »Ich muss erfahren, was aus ihm geworden ist.«
    »So bleibt mir denn nichts anderes mehr zu tun übrig, als deiner in meinem Gebet zu gedenken«, sagte er, »und Gott von ganzem Herzen zu bitten, dass er dich nicht zu einer Verworfenen werden lässt. Ich habe geglaubt, in dir eine der Auserwählten zu sehen. Aber Gott sieht nicht, wie Menschen sehen:
Sein
Wille geschehe!«
    Er öffnete das Heckentor, schritt hinaus und ging durch die Wiesen der Schlucht zu. Bald war er ganz entschwunden.
    Als ich wieder ins Wohnzimmer trat, fand ich Diana am Fenster stehend. Sie schien in trübes Grübeln versunken. Diana war sehr viel größer als ich, sie legte ihre Hand auf meine Schulter, beugte sich zu mir herab und sah mir prüfend ins Gesicht.
    »Jane«, sagte sie, »du bist jetzt stets so blass und aufgeregt. Ich bin fest überzeugt, dass irgendetwas geschehen ist. Sag mir, was zwischen dir und St. John vorgeht; seit einerhalben Stunde habe ich euch hier vom Fenster aus beobachtet. Du musst verzeihen, dass ich eine solche Spionin bin, aber seit längerer Zeit schon habe ich mir allerhand Dinge eingebildet. St. John ist ein so seltsamer, so ganz eigentümlicher Mensch.«
    Sie hielt inne; ich schwieg. Bald begann sie von Neuem:
    »Ich bin fest überzeugt, dass mein sonderbarer Herr Bruder ganz besondere Ansichten in Bezug auf dich hegt. Schon seit langer Zeit hat er dich durch eine Beachtung und ein Interesse ausgezeichnet, das er noch niemals einem anderen Menschen bewiesen hat – und zu welchem Zweck? Ich wollte, dass er dich liebte, Jane – tut er das?«
    Ich zog ihre kühle Hand an meine heiße Stirn: »Nein, Di, nein, nicht im Geringsten.«
    »Weshalb verfolgt er dich dann so mit den Augen – und macht, dass er so häufig allein mit dir ist und hält dich fortwährend an seiner Seite fest? Mary und ich waren beide zu dem Schluss gekommen, dass er den Wunsch hegt, dich zu heiraten.«
    »Das tut er auch – er hat von mir verlangt, dass ich seine Frau werde.«
    Diana schlug vor Freude die Hände zusammen.
    »Das ist’s ja gerade, was wir hofften und dachten! Und du wirst ihn heiraten, Jane, nicht wahr? Dann müsste er ja auch in England bleiben!«
    »Weit entfernt davon, Diana. Die einzige Absicht, welche er bei seinem Heiratsantrag hegt, ist, sich in mir eine passende Gehilfin für seine indischen Arbeiten und Mühseligkeiten zu sichern.«
    »Was? Er verlangt von dir, dass du nach Indien gehst?«
    »Ja!«
    »Wahnsinn!«, rief sie aus. »Ich bin überzeugt, dass du dort kaum drei Monate überleben würdest. Du darfst unter keinen Umständen gehen! Du hast doch nicht eingewilligt, nicht wahr, liebe Jane?«
    »Ich habe mich geweigert, ihn zu heiraten.«
    »Und folglich hast du ihn tief gekränkt?«, vermutete sie.
    »Tief. Er wird mir niemals verzeihen, fürchte ich. Und doch erbot ich mich, ihn als seine Schwester zu begleiten.«
    »Es war eine unglaubliche Torheit, das zu tun, Jane. Denk nur an die Aufgabe, welche du damit unternehmen würdest – es wäre eine endlose Anstrengung, und die Anstrengung tötet in jenen Ländern selbst die Stärksten. Du aber bist zart und schwach.

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