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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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wurde. Er zeigte auf meinen Koffer, der im Gang stand.
    »Ja.« Er hievte ihn auf die Kutsche, welche ein geschlossener Wagen war, und dann stieg auch ich auf. Ehe er die Tür hinter mir zuschlug, fragte ich, wie weit es bis Thornfield sei.
    »Eine Strecke von sechs Meilen.«
    »Und wie lange fahren wir?«
    »Vielleicht anderthalb Stunden!«
    Er sicherte die Wagentür, kletterte auf seinen Sitz und wir fuhren ab. Wir kamen nur langsam vorwärts, und ich hatte reichliche Muße zum Nachdenken. Ich war zufrieden, dem Endziel meiner Reise so nahe zu sein, und als ich mich in das bequeme, wenn auch durchaus nicht elegante Gefährt zurücklehnte, gab ich mich ungestört meinen Gedanken hin.
    ›Nach der Einfachheit und der Anspruchslosigkeit des Dieners und des Wagens zu urteilen, ist Mrs. Fairfax keine sehr elegante Person … Umso besser, ich habe ja bereits einmal unter feinen Leuten gelebt und mich bei ihnen sehr unglücklich gefühlt. Ich möchte wissen, ob sie mit diesem kleinen Mädchen ganz allein lebt. Wenn das der Fall und sie auch nur einigermaßen liebenswürdig ist, werde ich sehr gutmit ihr fertig werden. Ich werde mein Bestes tun. Aber wie schade, dass es nicht immer genügt, sein Bestes zu tun … In Lowood hatte ich diesen Entschluss gefasst und ausgeführt, und es gelang mir, allen zu gefallen; aber bei Mrs. Reed erinnere ich mich, dass selbst mein Bestes immer nur Hohn und Verachtung hervorrief. Ich bitte Gott, dass Mrs. Fairfax keine zweite Mrs. Reed sein möge. Wenn sie es aber ist, so brauche ich nicht bei ihr zu bleiben. Wenn es hart auf hart kommt, so kann ich ja immer noch wieder eine Annonce in die Zeitung setzen lassen … Wie weit wir jetzt wohl schon auf dem Weg sein mögen?‹
    Ich ließ das Fenster herab und blickte hinaus. Millcote lag hinter uns; nach der Anzahl seiner Lichter schien es ein Ort von beträchtlicher Größe, viel größer als Lowton. Soweit ich es überblicken konnte, befanden wir uns jetzt auf offenem Land; jedoch waren über den ganzen Distrikt Häuser verstreut. Ich bemerkte, dass wir uns in einer Gegend befanden, welche sehr verschieden von Lowood war; dichter bevölkert, aber weniger malerisch; sehr belebt, aber weniger romantisch.
    Die Straßen waren schlammig, die Nacht war neblig. Mein Kutscher ließ sein Pferd fortwährend im Schritt gehen, und ich glaube, dass aus den anderthalb Stunden mindestens zwei wurden. Endlich wandte er sich um und sagte:
    »Nun sind Sie nicht mehr weit von Thornfield.«
    Wieder blickte ich hinaus. Wir fuhren an einer Kirche vorüber; ich sah den niedrigen, breiten Turm sich gegen den Himmel abzeichnen, seine Glocken verkündeten die Viertelstunde. Dann sah ich auch eine schmale Reihe von Lichtern auf einer Anhöhe; es war ein Dorf oder ein Weiler. Nach ungefähr zehn Minuten stieg der Kutscher ab und öffnete eine Pforte; wir fuhren hindurch, und sie schlug hinter uns zu. Jetzt kamen wir langsam über den großen Fahrweg eines Parks und fuhren an der langen Front eines Hauses entlang; aus einem verhängten Bogenfenster fiel einLichtschein, alle übrigen waren dunkel. Der Wagen hielt vor der Haustür. Eine Dienerin öffnete dieselbe; ich stieg aus und ging hinein.
    »Bitte diesen Weg, Fräulein«, sagte das Mädchen, und ich folgte ihr durch eine quadratische Halle, in welche von allen Seiten Türen mündeten. Sie führte mich in ein Zimmer, dessen doppelte Beleuchtung durch Kerzen und Kaminfeuer mich im ersten Augenblick blendete, denn sie unterschied sich zu stark von der Dunkelheit, an welche meine Augen sich während der letzten Stunden gewöhnt hatten. Als ich jedoch imstande war, wieder zu sehen, bot sich meinen Blicken ein gemütliches und angenehmes Bild:
    Ein hübsches, sauberes kleines Zimmer, ein runder Tisch an einem lustig lodernden Kaminfeuer. Auf einem hochlehnigen, altmodischen Stuhl saß eine zierliche ältere Dame. Sie trug eine Witwenhaube, ein schwarzes Seidenkleid und eine schneeweiße Musselinschürze – es war alles gerade so, wie ich mir Mrs. Fairfax vorgestellt hatte, nur, dass die Dame weniger stattlich und viel milder und gütiger aussah. Sie war mit Stricken beschäftigt, eine große Katze lag schnurrend zu ihren Füßen – kurzum: Nichts fehlte, um dem Idealbild häuslicher Behaglichkeit zu entsprechen. Eine angenehmere Einführung einer neuen Gouvernante ließ sich kaum denken; keine Erhabenheit, die überwältigte, keine Herablassung, die in Verlegenheit setzte. Als ich eintrat, erhob sich die alte Dame und

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