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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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machte er viele und weite Ausritte. Wahrscheinlich erwiderte er jene Besuche, denn gewöhnlich kam er erst spät in der Nacht zurück.
    Während dieser Zeit wurde auch Adèle nur selten zu ihm geholt, und meine Beziehung zu ihm beschränkte sich auf gelegentliche Begegnungen in der Halle, auf der Treppe oder in der Galerie. Zuweilen ging er hochmütig und kalt vorüber und nahm von meiner Gegenwart nur durch eine steife Verbeugung oder einen kalten Blick Notiz; andere Male hingegen lächelte er und begrüßte mich mit der zwanglosen Höflichkeit eines Gentlemans. Seine wechselnde Laune beleidigte mich nicht, denn ich sah bald ein, dass meine Person mit diesen Wechseln nichts zu tun hatte. Die Ebbe und Flut hing von Ursachen ab, mit denen ich nicht in Verbindung stand.
    Eines Tages hatte er zum Mittagessen Gäste und hatte meine Zeichenmappe holen lassen – ohne Zweifel zu dem Zweck, ihren Inhalt zu zeigen. Die Herren entfernten sich zeitig, um einer öffentlichen Versammlung in Millcote beizuwohnen, wie Mrs. Fairfax mir mitteilte. Da der Abend aber unfreundlich und nass war, begleitete Mr. Rochester sie nicht. Bald nachdem sie sich entfernt hatten, zog er dieGlocke. Er verlangte, dass Adèle und ich nach unten kommen sollten. Ich bürstete Adèles Haar und machte sie nett zurecht, und nachdem ich mich vergewissert hatte, dass meine übliche Quäkertracht keiner Korrektur bedurfte – es war ohnehin alles zu schlicht und zu glatt, die Frisur einbegriffen, um eine Unordnung zuzulassen –, gingen wir hinunter. Adèle fragte mich, ob ich glaube, dass der
petit coffre
endlich angekommen sei; denn durch irgendeinen Irrtum hatte seine Ankunft sich bis jetzt verzögert. Ihre Hoffnung ging in Erfüllung: Da stand er auf dem Tisch, der kleine Karton; gleich beim Eintreten schien sie ihn instinktiv zu erkennen.
    »Ma boîte! ma boîte!«, rief sie aus und lief auf den Tisch zu.
    »Ja, da ist deine ›boîte‹ endlich. Nimm sie dir in eine Ecke, du echte Tochter des schönen Paris, und amüsiere dich beim Auspacken«, ließ sich Mr. Rochesters tiefe und sarkastische Stimme aus einem großen, tiefen Lehnstuhl vom Kamin her vernehmen. »Und denk dran«, fuhr er fort, »behellige mich nicht mit anatomischen Details oder irgendeiner Bemerkung über den Zustand der Eingeweide; führe deine Operation unter Stillschweigen aus – tiens-toi tranquille, enfant; comprends-tu?«
    Adèle schien dieser Warnung aber gar nicht zu bedürfen; sie hatte sich mit ihrem Schatz bereits auf ein Sofa zurückgezogen und war damit beschäftigt, den Bindfaden, welcher den Deckel hielt, zu lösen. Nachdem sie dieses Hindernis entfernt und einige silberne Seidenpapiere emporgehoben hatte, rief sie nur aus:
    »Oh, ciel, que c’est beau!« Dann verharrte sie regungslos in ekstatischer Betrachtung.
    »Ist Miss Eyre da?«, fragte der Herr des Hauses jetzt, indem er sich halb aus seinem Lehnsessel erhob und sich nach der Tür umblickte, neben welcher ich noch immer stand.
    »Ah, das ist gut! Treten Sie näher, setzen Sie sich hierher.«Er zog einen Stuhl an den seinen heran. »Ich bin kein Freund von Kindergeplapper«, fuhr er fort, »denn ein alter Junggeselle wie ich hat keine freundlichen Erinnerungen, die sich an ihr Lallen knüpfen könnten. Es wäre unerträglich für mich, wenn ich einen ganzen Abend
tête-à-tête
mit solch einem Balg zubringen sollte. Ziehen Sie den Stuhl nicht weiter zurück, Miss Eyre, setzen Sie sich genau da, wohin ich ihn hingestellt habe, das heißt natürlich, wenn es Ihnen recht ist. Zum Teufel mit diesen Förmlichkeiten! Ich vergesse sie immer wieder. Für einfältige ältere Damen habe ich übrigens auch keine besondere Vorliebe. Dabei fällt mir ein, für die meine sollte ich sie doch haben; es würde nichts Gutes daraus entstehen, wenn ich sie vernachlässigen wollte. Sie ist eine Fairfax, oder war doch mit einem solchen verheiratet; und Blut ist dicker als Wasser, wie das Sprichwort sagt.«
    Er zog die Glocke und sandte eine Aufforderung an Mrs. Fairfax, welche gleich darauf mit ihrem Strickkorb in der Hand erschien.
    »Guten Abend, Madam. Ich ließ Sie zu einem mildtätigen Zweck hierherbitten: Ich habe Adèle verboten, mit mir über ihre Geschenke zu sprechen, und sie stirbt jetzt beinahe vor zurückgehaltener Aufregung. Haben Sie die Güte, ihr als Zuhörerin und Fragestellerin zu dienen; es wäre sicher eine der barmherzigsten Taten, die Sie jemals vollbracht haben.«
    In der Tat, kaum hatte Adèle Mrs. Fairfax

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