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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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denen wir kaum nähen konnten.«
    »Das war eine sehr verkehrte Sparsamkeit«, bemerkte Mrs. Fairfax, welche den Faden des Gesprächs jetzt wieder aufnehmen konnte.
    »Und war dies das größte und schwärzeste seiner Verbrechen?«, fragte Mr. Rochester.
    »Er ließ uns beinahe verhungern, als er die alleinige Aufsicht über die Verpflegung führte. Das war, bevor dann dasKomitee eingesetzt wurde. Und einmal wöchentlich langweilte er uns mit langen Vorträgen und mit abendlichen Vorlesungen aus Büchern, die er selbst verfasst hatte. Sie handelten stets von plötzlichen Todesfällen und fürchterlichen Strafen, sodass wir abends immer gequält und geängstigt zu Bett gingen.«
    »Wie alt waren Sie, als Sie nach Lowood kamen?«
    »Ungefähr zehn Jahre.«
    »Und acht Jahre blieben Sie dort. Da sind Sie also jetzt achtzehn Jahre alt?«
    Ich nickte bejahend.
    »Wie Sie sehen, ist die Arithmetik sehr nützlich. Ohne ihre Hilfe wäre ich kaum imstande gewesen, Ihr Alter zu erraten. Das ist eine sehr schwierige Sache in einem Falle wie dem Ihren, wo die Gesichtszüge und die Haltung so sehr im Widerspruch zum wirklichen Alter stehen. Und nun erzählen Sie mir, was Sie in Lowood gelernt haben. Können Sie Klavier spielen?«
    »Ein wenig.«
    »Natürlich ›ein wenig‹! Das ist so die gewöhnliche Antwort. Gehen Sie in die Bibliothek – das heißt, wenn Sie so liebenswürdig sein wollen? Verzeihen Sie meinen Kommandoton, ich bin daran gewöhnt zu sagen: ›Tun Sie dies!‹, und es wird sofort gemacht. Ich kann meine alten Gewohnheiten einem einzigen neuen Hausgenossen zuliebe nicht ablegen. Gehen Sie also in die Bibliothek, nehmen Sie eine Kerze mit, lassen Sie die Tür offen, setzen Sie sich ans Klavier und spielen Sie ein Lied.«
    Ich ging, um seinen Weisungen Folge zu leisten.
    »Genug!«, rief er nach wenigen Minuten. »Sie spielen allerdings ›ein wenig‹, ich sehe schon. Gerade so, wie jedes andere englische Schulmädchen, vielleicht noch ein wenig besser, aber durchaus nicht gut.«
    Ich schloss das Klavier und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Mr. Rochester fuhr fort:
    »Adèle hat mir heute Morgen einige Zeichnungen gezeigt, von denen sie sagte, dass es die Ihrigen seien. Ich weiß nicht, ob dieselben Ihr Werk allein sind – wahrscheinlich hat ein Lehrer Ihnen dabei geholfen?«
    »Nein, gewiss nicht!«, rief ich schnell.
    »Ah, da erwacht die Eitelkeit! Gut also, holen Sie Ihre Zeichenmappe, wenn Sie dafür bürgen können, dass sie nur Originale enthält. Aber geben Sie Ihr Wort nicht, wenn Sie nicht ganz sicher sind. Ich erkenne jedes Flickwerk sofort.«
    »Dann werde ich also gar nichts sagen, Sir, und Sie werden selbst urteilen.«
    Ich holte die Mappe aus der Bibliothek.
    »Bringen Sie mir den Tisch heran«, sagte er, und ich schob ihn vor sein Sofa. Adèle und Mrs. Fairfax kamen auch hinzu, um die Bilder zu sehen.
    »Kein Gedränge«, sagte Mr. Rochester, »nehmen Sie die Zeichnungen, wenn ich damit fertig bin, aber drücken Sie Ihre Gesichter nicht an das meine.«
    Mit Muße betrachtete er jedes Bild, jede Zeichnung. Drei legte er beiseite; die andern schob er von sich, nachdem er sie geprüft hatte.
    »Nehmen Sie sie nach jenem Tische dort mit, Mrs. Fairfax«, sagte er, »und betrachten Sie sie mit Adèle.« Und mit einem Blick auf mich: »Sie nehmen Ihren Platz wieder ein und beantworten meine Fragen. Ich sehe, dass diese Skizzen von ein und derselben Hand stammen; war es die Ihre?«
    »Ja.«
    »Und wann haben Sie Zeit gefunden, sie zu machen? Sie haben viel Zeit und auch einiges Nachdenken erfordert.«
    »Während der letzten Ferien entwarf ich sie in Lowood, als ich keine andere Beschäftigung hatte.«
    »Woher haben Sie die Motive genommen?«
    »Aus meinem Kopf.«
    »Aus dem Kopf, den ich jetzt da auf Ihren Schultern sehe?«
    »Ja, Sir.«
    »Hat er noch mehr dergleichen Vorräte in sich?«
    »Ich glaube schon, oder besser: Ich hoffe es.«
    Er breitete die Bilder erneut vor sich aus und betrachtete sie abwechselnd.
    – Während er noch damit beschäftigt ist, will ich dir, lieber Leser, erzählen, was sie darstellten. Vor allen Dingen muss ich vorausschicken, dass sie durchaus nichts Wunderbares waren. Die Motive entstammten wirklich lebhaften inneren Vorstellungen. Als ich sie noch mit dem geistigen Auge sah, bevor ich versuchte, sie festzuhalten, waren sie wohl außergewöhnlich, aber mein Pinsel konnte mit meiner Phantasie nicht Schritt halten. In allen drei Fällen war die Ausführung nur ein

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