Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
einmal so seine Art war. Ich wurde so zufrieden, so glücklich mit dieser neuen Bereicherung, welche mein Leben erhalten hatte, dass ich aufhörte, mich nach einer Gefährtin zu sehnen. Die schwach leuchtende Mondsichel meines Schicksals wurde heller, die Leere meines Daseins war ausgefüllt, meine Gesundheit wurde besser, und ich wurde stärker und kräftiger.
War Mr. Rochester in meinen Augen noch immer hässlich? Nein, lieber Leser: Dankbarkeit und andere gute, sympathische Regungen ließen mir sein Gesicht das liebste von allen werden. Seine Gegenwart machte das Zimmer heller, wärmer und gemütlicher als das loderndste Kaminfeuer. Seine Fehler hatte ich jedoch noch immer nicht vergessen, und ich konnte es auch in der Tat nicht, denn er führte sie mir beständig vor Augen. Er war stolz, sarkastisch und hartgegenüber jeder Art von Unterlegenheit; in der geheimsten Tiefe meines Herzens wusste ich, dass die ungerechte Strenge gegen viele andere seiner großen Güte gegen mich die Waage hielt. Er war auch launisch auf die unberechenbarste Weise. Wenn er mich hatte holen lassen, um ihm vorzulesen, fand ich ihn mehr als einmal allein in der Bibliothek, den Kopf auf die verschränkten Arme gebeugt. Und wenn er dann aufblickte, verdüsterte ein mürrischer, fast böser Blick seine Miene. Aber ich glaubte, dass seine Launenhaftigkeit, seine Härte und seine früheren Sünden – ich sage frühere, denn jetzt schien er sich bekehrt zu haben – ihren Ursprung in irgendeinem harten Schicksalsschlag hatten. Ich glaubte, dass die Natur ihn zu einem Menschen von besseren Anlagen, strengeren Grundsätzen und reineren Neigungen bestimmt hatte, als diejenigen waren, welche Erziehung ihm eingeträufelt, traurige Verhältnisse in ihm entwickelt und das Schicksal in ihm ermutigt hatten. Ich glaubte, dass ausgezeichnete Eigenschaften in ihm schlummerten, wenngleich für den Augenblick sein Inneres gänzlich verworren und elend schien. Ich kann nicht leugnen, dass ich um seinen Schmerz trauerte, welcher Art er auch sein mochte, und ich muss gestehen, dass ich viel gegeben hätte, wenn ich ihn hätte auf mich nehmen können.
Obgleich ich meine Kerze jetzt ausgelöscht hatte und bereits im Bett lag, konnte ich nicht schlafen, weil ich fortwährend den Blick vor mir sah, mit welchem er in der Allee stehen geblieben war und mir erzählt hatte, dass sein Schicksal vor ihm erstanden und ihn trotzig gefragt habe, ob er es wagen wolle, in Thornfield glücklich zu sein.
›Weshalb?‹, fragte ich mich, ›was lässt ihm das Haus fremd sein? Wird er es bald wieder verlassen? Mrs. Fairfax erzählte, dass er niemals länger als vierzehn Tage bliebe, und jetzt residiert er schon acht Wochen hier. Wenn er wieder geht, wird es eine schmerzliche Veränderung für mich sein. Wenn er nun Frühling, Sommer und Herbst fortbliebe – wiefreudlos würde dann der Sonnenschein, wie traurig würden die schönen Tage für mich sein!‹
Ich weiß nicht, ob ich nach diesen Überlegungen eingeschlafen war oder nicht, auf jeden Fall schreckte ich empor, als ich ein undeutliches Murmeln vernahm, seltsam und unheimlich, und das, wie ich glaubte, gerade über meinem Kopf war. Ich wünschte, dass ich meine Kerze hätte brennen lassen, denn die Nacht war dunkel und bedrückend. Ich erhob mich und richtete mich im Bett auf, um zu horchen. Die Töne verstummten.
Wiederum versuchte ich zu schlafen, aber mein Herz klopfte ängstlich, meine innere Ruhe war dahin. Weit unten in der Halle verkündete die Uhr die zweite Stunde. In diesem Augenblick war es, als berühre jemand die Tür meines Zimmers, als hätte jemand sich durch die dunkle Galerie an den Holzverkleidungen der Wand entlanggetastet. Ich rief: »Wer ist da?« Niemand antwortete. Die Furcht machte mich fast erstarren.
Plötzlich fiel mir ein, dass es Pilot sein könnte, welcher oft, wenn die Küchentür nicht geschlossen war, seinen Weg bis an die Schwelle von Mr. Rochesters Zimmer fand. Oft hatte ich ihn am Morgen selbst dort liegen sehen. Einigermaßen durch diesen Gedanken beruhigt, legte ich mich wieder. Stille besänftigt die Nerven, und da jetzt ununterbrochene Ruhe im ganzen Haus herrschte, fühlte ich, wie der Schlaf sich erneut auf meine Lider senkte. Aber das Schicksal hatte beschlossen, dass ich in dieser Nacht keinen Schlummer finden sollte. Kaum hatte ein Traum sich leise flüsternd meinem Ohr genähert, als er von einem markerschütternden Zwischenfall verschreckt wurde.
Es war ein
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