Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
Vom Netzwerk:
Keinem anderen lebenden Wesen gegenüber hätte ich eine solche Verpflichtung ertragen, aber mit Ihnen ist es anders: Jane, die Dankbarkeit gegen Sie ist mir keine Last.«
    Er hielt inne, und er blickte mich an. Ich sah, wie ihm die Worte auf den Lippen zitterten, aber seine Stimme versagte ihm den Dienst.
    »Noch einmal gute Nacht, Sir. Sprechen Sie nicht von Schuld, Wohltaten, Verpflichtungen; in diesem Falle gibt es keine solchen.«
    »Ich fühlte immer«, fuhr er fort, »dass Sie mir zu irgendeinerZeit Gutes erweisen würden. Als ich Sie zum ersten Mal erblickte, sah ich es in Ihren Augen! Nicht umsonst …«, hier hielt er inne, um dann hastig weiterzusprechen »… nicht umsonst strahlte Ihr Lächeln mir Wonne bis in den geheimsten Winkel meines Herzens. Die Menschen sprechen von natürlichen Sympathien, ich habe von gütigen Schutzengeln gehört – selbst in den wildesten Fabeln gibt es doch ein Körnchen Wahrheit. Meine verehrte Lebensretterin, gute Nacht!«
    In seiner Stimme lag eine seltsame Energie, in seinen Blicken ein wunderbares Feuer.
    »Ich bin glücklich, dass ich zufällig wach war«, sagte ich. Dann wandte ich mich erneut zum Gehen.
    »Wie, Sie wollen gehen?«
    »Mich friert, Sir.«
    »Es friert Sie? Ja, und da stehen Sie mitten in einer Wasserpfütze? Gehen Sie denn, Jane, gehen Sie!«
    Aber er hielt noch immer meine Hand, und ich konnte sie nicht befreien. Da fiel mir ein Ausweg ein:
    »Ich glaube, Sir, ich höre Mrs. Fairfax«, sagte ich.
    »Nun gut, lassen Sie mich also allein.« Er ließ meine Hand los und ich ging.
    Ich suchte mein Lager auf, aber ich dachte nicht an Schlaf. Bis zum Tagesanbruch schaukelte ich auf einem tobenden Meer, wo Wogen von Kummer und Sorge unter Brandungen von Glück und Wonne dahinrollten. Zuweilen war mir, als sähe ich hinter jenen wilden Gewässern eine Küste, schön wie die Hügel von Beulah. Dann und wann trug eine erfrischende Brise, durch die Hoffnung geweckt, meine Seele triumphierend der Küste entgegen, aber ich konnte sie nicht erreichen, nicht einmal im Geiste – ein hindernder Wind blies vom Lande her und trieb mich unaufhörlich zurück. Die Sinne wollten dem Delirium widerstehen, die Vernunft wollte die Leidenschaft warnen. Zu fieberhaft, um ruhen zu können, erhob ich mich mit Tagesanbruch.

Sechzehntes Kapitel
     
    Am Morgen, der dieser schlaflosen Nacht folgte, fürchtete und wünschte ich zugleich, Mr. Rochester wiederzusehen. Ich sehnte mich, seine Stimme zu hören, und doch fürchtete ich, seinem Blick zu begegnen. Während der ersten Morgenstunden erwartete ich jeden Augenblick sein Kommen. Es gehörte nicht gerade zu seinen Gewohnheiten, in das Schulzimmer zu kommen, aber zuweilen trat er doch auf einige Minuten ein, und ich hatte die Ahnung, dass er an diesem Tag gewiss kommen würde.
    Aber der Morgen ging hin wie gewöhnlich und nichts trug sich zu, das den ruhigen Verlauf von Adèles Studien hätte stören können. Nur kurz nach dem Frühstück vernahm ich einigen Lärm in der Nähe von Mr. Rochesters Zimmer und hörte die Stimmen von Mrs. Fairfax, Leah und der Köchin, welche Johns Frau war – sogar Johns eigene raue Töne waren zu vernehmen. Ich hörte Ausrufe wie: »Welch ein Glück, dass unser Herr nicht in seinem eigenen Bett verbrannt ist!« – »Es ist stets gefährlich, ein Licht während der Nacht brennen zu lassen!« – »Welch ein glücklicher Zufall, dass er Geistesgegenwart genug hatte, an den Wasserkrug zu denken!« – »Es wundert mich nur, dass er niemanden geweckt hat!« – »Hoffentlich wird er sich beim Schlafen auf dem Sofa der Bibliothek nicht erkältet haben!«, und dergleichen.
    Auf dieses endlose Geplauder folgten Geräusche des Schrubbens und Aufräumens; und als ich auf dem Weg hinunter zum Mittagessen an seinem Zimmer vorüberging, sah ich durch die geöffnete Tür, dass sich alles bereits wieder in der alten Ordnung befand, nur die Vorhänge vom Bett waren heruntergenommen. Leah stand in der Fenstervertiefung und rieb die Glasscheiben, welche durch den Rauch geschwärzt waren. Ich wollte sie schon ansprechen, denn ich wünschte zu wissen, welche Deutung der Sache gegebenworden war; als ich jedoch näher trat, sah ich noch eine zweite Person im Zimmer – eine Frau, die neben dem Bett saß und Ringe an die neuen Vorhänge nähte. Diese Frau war keine andere als Grace Poole.
    Da saß sie, ruhig und schweigsam wie gewöhnlich, in ihrem braunen Wollkleid, der karierten Schürze, dem weißen Halstuch und der

Weitere Kostenlose Bücher