Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
Vom Netzwerk:
er es, und diese letzte Nacht … denk an seine Worte, an seine Blicke, seine Stimme!‹
    Ich erinnerte mich an alles, an seine Sätze, an seinen Blick, an seinen Ton – alles stand wieder lebendig vor mir. Jetzt war ich im Schulzimmer. Adèle zeichnete, ich beugte mich über sie und führte ihren Stift. Plötzlich fuhr sie zusammen und blickte zu mir auf.
    »Qu’avez-vous, Mademoiselle?«, sagte sie. »Vos doigts tremblent comme la feuille, et vos joues sont rouges: mais, rouges comme des cerises!«
    »Mir ist heiß, Adèle, weil ich mich zu dir niedergebeugt habe!«
    Sie fuhr mit dem Zeichnen fort, ich mit dem Denken.
    Ich beeilte mich, die schlechten Gedanken, welche ich in Bezug auf Grace Poole gehabt hatte, aus meinem Kopf zu verjagen, sie ekelten mich an. Ich verglich mich mit ihr und fand, dass wir sehr verschieden waren. Bessie Leaven hatte gesagt, dass ich wie eine Dame aussähe, und sie sagte die Wahrheit: Ich war eine Dame. Und jetzt war ich doch viel hübscher als bei Bessies Besuch: Ich hatte eine frischere Farbe und war kräftiger geworden, mein Geist war erwacht, und ich war voll Leben und Lebenslust, weil ich fröhlichere Hoffnungen und innigere Freuden hatte.
    »Der Abend kommt«, sagte ich und blickte zum Fenster hinaus. »Ich habe heute während des ganzen Tages weder Mr. Rochesters Stimme noch seine Schritte im Haus gehört. Aber ich werde ihn gewiss heute noch sehen. Am Morgen fürchtete ich die Begegnung, jetzt wünsche ich sie. Meine Erwartungen sind so lange enttäuscht worden, dass ich nun ungeduldig geworden bin.«
    Als die Dämmerung vollständig hereingebrochen war und Adèle mich verlassen hatte, um mit Sophie im Kinderzimmer zu spielen, war der Wunsch nach einem Wiedersehen zur Sehnsucht geworden. Ich horchte, ob die Glocke unten in der Halle nicht ertönen würde; ich horchte, ob Leah nicht mit einem Bescheid nach oben kommen würde. Zuweilen bildete ich mir ein, Mr. Rochesters Schritte zuhören, und ich wandte mich zur Tür in der festen Erwartung, ihn gleich eintreten zu sehen. Die Tür blieb geschlossen, und Dunkelheit blickte durchs Fenster. Und doch war es noch nicht spät. Oft schickte er erst um sieben oder acht Uhr nach mir, und jetzt war es erst sechs. Heute Abend konnte er mich doch nicht umsonst hoffen lassen, heute, wo ich ihm so viel zu sagen hatte! Ich beabsichtigte, das Gespräch noch einmal auf Grace Poole zu lenken, um zu hören, was er mir antworten würde. Ich wollte ihn fragen, ob er wirklich glaube, dass sie den schändlichen Mordversuch von gestern Abend begangen hatte, und wenn dies der Fall war, weshalb er dann ein Geheimnis aus ihrer Schlechtigkeit mache. Es sollte mich wenig kümmern, ob meine Neugier ihn ärgerte – ich kannte das Vergnügen, ihn abwechselnd zu reizen und wieder zu besänftigen, ja ich fand sogar eine besondere Freude daran, und ein sicherer Instinkt bewahrte mich stets davor, zu weit zu gehen. Die Grenzen überschritt ich nie, aber ich liebte es, meine Geschicklichkeit auf der äußersten Grenze zu prüfen. Da ich selbst mich jederzeit respektvoll und meinem Stand entsprechend verhielt, konnte ich mich ohne unbehaglichen Zwang und ohne Furcht auf Streitgespräche mit ihm einlassen, und diese unterhielten sowohl ihn als auch mich.
    Endlich knarrte die Treppe unter Fußtritten; Leah trat ein, aber es war nur, um mir anzuzeigen, dass der Tee in Mrs. Fairfax’ Zimmer bereitet sei. Dorthin begab ich mich, froh, überhaupt hinuntergehen zu können, denn ich bildete mir ein, dass mich dies Mr. Rochester wenigstens etwas näher sein ließ.
    »Sie müssen sich geradezu sehnen nach Ihrem Tee«, sagte die gute Dame, als ich zu ihr ins Zimmer kam. »Sie haben heute Mittag so wenig gegessen. Ich fürchte«, fuhr sie fort, »dass Sie heute nicht ganz wohl sind, Sie sehen fieberhaft und erhitzt aus.«
    »Oh, ich bin durchaus wohl, ich habe mich niemals wohler gefühlt.«
    »Dann beweisen Sie es mir, indem Sie einen guten Appetit zeigen. Wollen Sie den Tee aufgießen, während ich diese Nadel abstricke?« Als sie mit ihrer Arbeit zu Ende war, erhob sie sich, um den Vorhang herabzulassen, der noch oben war, da sie für die Strickerei das letzte Tageslicht genutzt hatte. Jetzt ging die Dämmerung in vollständige Dunkelheit über.
    »Es ist ein schöner Abend«, sagte sie, indem sie einen Blick durch die Scheiben warf, »wenn es auch nicht gerade sternenklar ist. Im Ganzen hat Mr. Rochester aber einen sehr schönen Tag für seine Reise gehabt.«
    »Reise?

Weitere Kostenlose Bücher