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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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bevor ich mich schlafen lege.«
    »Es ist sehr vernünftig, das zu tun«, lautete ihre Antwort. »Diese Gegend hier ist zwar so ruhig und sicher wie keine zweite, und seit Thornfield Hall ein Herrenhaus ist, habe ich nicht gehört, dass irgendein Raubversuch gemacht worden ist, obgleich sich in der Kammer Silbergeschirr im Werte von vielen hundert Pfund befindet, wie wohl jedermann weiß. Und sehen Sie, für ein so großes Haus befinden sich auch nur wenige Dienstboten hier, weil der Herr sich ja nur so selten im Herrenhaus aufhält. Ein Junggeselle wie er braucht nur sehr wenig Aufwartung und Bedienung. Aber ich halte es trotzdem immer für das Beste, wenn man die Vorsicht ein wenig übertreibt. Eine Tür ist schnell geschlossen, und es kann nicht schaden, wenn man einen vorgeschobenen Riegel zwischen sich und allem möglichen Unheilhat. Es gibt eine Menge Leute, Fräulein, die dafür sind, alles der Vorsehung anheimzustellen. Ich aber sage, auch die Vorsehung kommt nicht ohne Hilfsmittel aus, und der Herr segnet die Mittel, wenn man sie vernünftig anwendet.«
    Und damit schloss sie ihre Rede. Es war eine sehr lange Rede für sie, und sie hielt dieselbe mit dem Ernst einer Quäkerin.
    Ich war noch vollständig verwirrt über das, was ich für unglaubliche Selbstbeherrschung und undurchdringliche Heuchelei hielt, als die Köchin eintrat.
    »Mrs. Poole«, sagte sie zu Grace, »das Mittagessen der Dienstboten wird bald bereit sein. Wollen Sie nicht herunterkommen?«
    »Nein. Aber stellen Sie mir ein Viertel Porter und etwas Pudding auf ein Tablett, das will ich dann nach oben holen.«
    »Wollen Sie kein Fleisch haben?«
    »Nur einen kleinen Bissen und ein Stück Käse, das ist alles, was ich brauche.«
    »Und der Sago?«
    »Den brauche ich jetzt nicht. Ich werde noch vor dem Tee hinunterkommen und ihn selbst machen.«
    Dann wandte sich die Köchin zu mir und teilte mir mit, dass Mrs. Fairfax mich erwartete. Ich ging hinunter.
    So sehr war ich damit beschäftigt, meinen Kopf über Grace Pooles rätselhaften Charakter zu zermartern, dass ich während des Mittagessens Mrs. Fairfax’ Erzählung von dem Vorhangbrand gar nicht hörte. Und noch mehr dachte ich über Grace Pooles Stellung in Thornfield Hall nach; ich fragte mich, weshalb man sie an diesem Morgen nicht ins Gefängnis gesteckt oder sie doch wenigstens aus Mr. Rochesters Dienst entlassen hatte. Am vorhergehenden Abend schien er mir doch von ihrer Schuld überzeugt; welche geheimnisvolle Ursache hielt ihn denn zurück, sie anzuklagen? Weshalb hatte er auch mich zur Verschwiegenheit verpflichtet? Es war doch seltsam: Ein kühner, rachsüchtigerund hochmütiger Gentleman schien in der Macht einer der niedrigsten seiner Untergebenen zu sein, so sehr in ihrer Macht, dass er nicht einmal wagte, sie öffentlich anzuklagen oder gar zu bestrafen, wenn sie ihre Hand gegen sein Leben erhob!
    Wenn Grace jung und schön gewesen wäre, so würde ich geglaubt haben, dass zartere Gefühle als Furcht oder Vorsicht Mr. Rochester in Bezug auf sie beherrschten; aber hässlich, unangenehm und alt wie sie war, konnte ich einem solchen Gedanken nicht Raum geben. ›Und doch‹, dachte ich weiter, ›auch sie ist einmal jung gewesen; ihre Jugend muss mit der ihres Brotherrn zusammengefallen sein. Mrs. Fairfax hat mir einmal erzählt, dass sie schon seit vielen Jahren hier lebt. Ich kann nicht glauben, dass sie jemals schön gewesen ist. Aber vielleicht besitzt sie Originalität und Charakterstärke, welche für den Mangel äußerer Reize entschädigen? Mr. Rochester ist ein Liebhaber des Entschiedenen und Exzentrischen; Grace ist wenigstens exzentrisch. Was, wenn eine frühere Laune, eine Grille, wie sie bei seiner heftigen, plötzlichen Natur wohl vorkommen kann, ihn in ihre Hände geliefert hätte und sie jetzt – Ergebnis seiner eigenen Indiskretion! – auf seine Handlungen und Bewegungen einen geheimen Einfluss ausübt, welchen er nicht abzuschütteln und nicht zu missachten wagt?‹
    Als ich aber bei diesem Punkt meiner Vermutungen angekommen war, standen Mrs. Pooles vierschrötige, flache Figur und ihr hässliches, nüchternes und derbes Gesicht so deutlich vor meinem inneren Auge, dass ich dachte: ›Nein, unmöglich, das kann es nicht sein! – Und dennoch …‹, sagte wieder die geheime Stimme, die in unserem Herzen zu uns spricht, ›… auch du bist nicht schön, und vielleicht findet Mr. Rochester trotzdem Gefallen an dir. Auf jeden Fall war dir oft ums Herz, als täte

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