Jane True 02 - Meeresblitzen
Territorien verschwunden. Wir nahmen an, sie seien ausgestorben. Offenbar lagen wir damit falsch.«
Natürlich waren mir die Mythen von den Wichteln bekannt, aber es fiel mir schwer zu glauben, dass diese kleinen Haushaltsgeister, die man mit einem Tellerchen Sahne besänftigen konnte, nicht nur wirklich existierten, sondern dass sie außerdem älter waren als die Alfar.
»Heißt das, dass sie jetzt denjenigen dienen, die die Grenzregion beherrschen?«, fragte ich. Caleb zuckte bloß mit den Schultern, und seine ratlose Geste machte mir die Tiefe des Geheimnisses, das sich vor uns auftat, noch deutlicher.
»Wow!«, hauchte ich. Ich beobachtete Anyan und den Wichtel, die sich weiterhin zwitschernd miteinander unterhielten. Schließlich führte das Wesen seine sechs kleinen Fäuste zusammen und warf dann die Arme wieder auseinander, wobei es erneut dieselbe seltsam prickelnde magische Energie verbreitete, die ich bei seinem Erscheinen gespürt hatte.
Wir duckten uns alle und stärkten unsere Schilde, aber es
erschien nur ein Aktenordner, der direkt vor Anyans Nase in der Luft schwebte.
Der große Mann lächelte, als er den Ordner im Austausch für Julians Namensliste entgegennahm. Anyan verbeugte sich leicht vor dem Wichtel und zwitscherte etwas, von dem ich annahm, dass es ein Dank war. Das kleine Wesen streckte seine linken Hände aus, die Liste unter seine rechten Arme geklemmt, und schüttelte Anyans Finger. Dann winkte es mir noch kurz zu, zeigte den anderen im Zimmer zwei nachdrückliche Mittelfinger und verschwand dann mit einem puffenden Geräusch.
Ryu kam zurück, etwas Teefarbenes und Scharfriechendes schwamm in seinem Glas. Er ließ sich schwer in den freien Sessel gegenüber von Julian fallen und fuhr sich in seiner typischen Geste der Frustration mit der Hand übers Gesicht. Dann wandte er sich an den Barghest.
»Anyan, kannst du uns bitte erklären, was das eben war? Und wie, verdammt nochmal, soll ich all das Orin und Morrigan erklären, ohne dass sie uns zur Schnecke machen? «
Ich betrachtete eingehend den Ordner, den mir Anyan gegeben hatte, während die Jungs noch stritten. Im Wesentlichen lag das Problem darin, dass Ryu es für eine echt große Sache hielt, dass hier gerade ein Wichtel aufgetaucht war. Anyan sah das anders. Niemanden hatte es besonders interessiert, als die Wichtel verschwanden, warum also sollte man sich jetzt über ihr Wiederauftauchen groß aufregen?
»Du hast deine Stellung immer für selbstverständlich gehalten, Anyan, so als wärst du unantastbar…«
»Und du kümmerst dich für meinen Geschmack zu sehr darum, was die anderen denken, Ermittler…«
Ich schüttelte unwillig den Kopf, blendete die beiden Streithähne aus und schlug den Ordner auf.
Ganz vorne klebte an einem Bericht ein Post-it mit einer Nachricht an Anyan, die mit »Capitola« unterschrieben war. Ich wusste, es war neugierig von mir, aber ich konnte nicht anders. Die Nachricht lautete: »Das ist alles, was wir finden konnten. Sicher ist Magie mit im Spiel, aber abgesehen von dieser Tatsache sind wir genauso ratlos wie die menschliche Polizei. Viel Glück! Wir bleiben in Kontakt. Du fehlst uns.«
Ich fragte mich, wer Capitola war und ob sie und der Barghest vielleicht ein Paar waren. Dann wunderte ich mich, warum ich mich das überhaupt fragte, während ich weiter durch den Ordner blätterte.
Wer auch immer sie war, diese Capitola und ihr Team hatten gründliche Arbeit geleistet. Jeder einzelne der Namen auf unserer Liste war überprüft worden. Einige waren Blindgänger; weder an den Tatorten noch an den Leichen konnten Anzeichen von Magie-Einwirkung nachgewiesen werden. Sie starben bei ganz normalen Bränden und keineswegs durch magisches Feuer.
Aber bei einigen wenigen war die Sachlage anders. Bei diesen Opfern gab es Hinweise auf Magie. Capitola schrieb, dass eine der Leichen sogar durch den Sarg im Grab hindurch so starke Anzeichen auf Magie ausgestrahlt hatte, dass man es bis ans Friedhofstor spüren konnte.
Sie schrieb außerdem, dass sie ihre eigenen Ermittlungen anstellen und versuchen würden, aktuellere Todesfälle
ausfindig zu machen, damit sie eine der fraglichen Leichen selbst in die Finger bekämen. Wenn sie etwas herausfänden, werde sie ihn mit Hilfe des Wichtels kontaktieren.
Ich reichte Julian den Ordner und wandte mich wieder Ryu und Anyan zu.
»Was kann sie veranlasst haben, den Alfar den Rücken zu kehren und sich in die Grenzregion zurückzuziehen? Das ist es, was ich
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