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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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schnellstmöglich zu deiner neuen Unterkunft bringen. «
    Ich sehe ihn fragend an. Wieder eine andere Bleibe? Wozu? Dieses Zimmer hier ist besser als die, die ich davor hatte, und mein Geld reicht aus, um es mir für ein paar Tage leisten zu können. Kein Mensch außer Lu und Aldemira kann wissen, dass ich hier stecke. Warum also soll ich wieder woanders hingehen?
    Â» Du hast doch gesehen « , antwortet mir Lu auf meine unausgesprochene Frage, » wie es läuft: Ein Nachbar sieht etwas, ein anderer hört etwas, die Leute reden, die Pensionswirtin macht eine unbedachte Äußerung, und schon weiß halb Rio, wo man wohnt. Diesmal habe ich ein wirklich geniales Versteck für dich– und es kennt kein Mensch außer mir. «
    Â» Aber bitte nicht wieder im Wald… «
    Â» Nein, diesmal ist es sogar noch ein wenig abenteuerlicher. « Er grinst mich an und ich bin wie erlöst. Sein spitzbübischer Gesichtsausdruck ist mir tausendmal lieber als seine strenge Miene. Ich mag es, wenn er seine blendend weißen Zähne blitzen lässt und wenn sich beim Lachen die Haut an seinen Wangen in Falten legt. Und es fasziniert mich, wie sich seine goldfarbenen Augen von einer Sekunde zur nächsten von denen eines Krokodils in die eines schnurrenden Katers verwandeln können.
    Â» Was guckst du so? « , fragt er.
    Â» Nur so. Ich bin halt gespannt. «
    Â» Am besten packst du jetzt sofort. «
    Â» Ich habe noch gar nicht ausgepackt. Gefrühstückt habe ich übrigens auch noch nicht. Da fällt mir ein: Wie bist du überhaupt ungesehen hier herein und bis in mein Zimmer gekommen? Dona Serafina wäre nicht erfreut, wenn sie wüsste, dass ich Herrenbesuch habe. «
    Â» Ich kann mich unsichtbar machen « , behauptet Lu und schafft es, dabei ernst zu bleiben.
    Â» Beneidenswert. «
    Â» Nun komm schon. Frühstücken kannst du später. Es gibt viel zu viele Leute im Viertel, denen du aufgefallen bist: Aldemiras Nachbarn, die Wirtin von der praça … «
    Er war es also doch! Der gut gebaute, gut gekleidete und umwerfend gut aussehende junge Mann von gestern, das warer.
    Â» Warst du gestern noch auf dem Tanzvergnügen? « , frage ich.
    Â» Was hat das denn jetzt mit deinem Frühstück zu tun? « , lenkt er mit einer Gegenfrage ab.
    Â» Du hast sicher schon bei… deiner Verlobten gefrühstückt? « Ich fürchte, meine Miene wirkt dabei etwas verkniffen. Ich will nicht, dass er denkt, ich sei eifersüchtig, aber genau das bin ich.
    Er antwortet mir mit einem unergründlichen Blick und der abermaligen Aufforderung, zu packen und aufzubrechen.
    Draußen ist wenig los. Wer würde schon am Sonntagmorgen bei diesem Wetter freiwillig das Haus verlassen? Der Himmel ist wolkenverhangen, es ist drückend und heiß. Es müssen mindestens 35Grad herrschen, und das schon so früh am Tag. Bestimmt gibt es später noch ein heftiges Gewitter.
    An der nächsten Straßenecke begegnen uns dann doch noch einige Leute. Kirchgänger, wie man aus ihrer Garderobe schließen darf. Ich versuche mich an meinen letzten Besuch einer Messe zu erinnern, es scheint eine Ewigkeit her zu sein. Mein schlechtes Gewissen erwacht. Mein ganzes Leben lang habe ich jeden Sonntag die Messe besucht, und obwohl mir diese Kirchgänge meist lästig waren und mich gelangweilt haben, fehlt mir dieses Ritual auf einmal ein bisschen.
    Ich müsste vor allem dringend beichten. Nachdem ich mir jahrelang irgendwelche Sünden ausgedacht habe, um den Padre im Beichtstuhl zufriedenstellen zu können, habe ich in den vergangenen Wochen genügend Sünden für den Rest meines Lebens begangen. Ich habe gelogen, gestohlen, Leute niedergeschlagen, meine Eltern hintergangen, das Briefgeheimnis gebrochen, mich der Völlerei hingegeben und unschuldige Menschen in Gefahr gebracht. Wäre es nötig gewesen, hätte ich wohl auch einen Mord begangen. Was das über meinen wahren Charakter aussagt, ist nicht eben erfreulich.
    Â» Willst du in die Kirche gehen? Hast du etwas zu beichten? « , fragt Lu mich und weckt in mir erneut den Verdacht, dass er Gedanken lesen kann. Oder spiegeln sich meine Gedanken so deutlich in meinem Gesicht wider?
    Â» Ich glaube, bei all meinen Sünden würde der arme Padre in Ohnmacht fallen « , witzele ich.
    Â» Nun, dann schone den Pfarrer lieber. Sonst kommt noch ein ohnmächtiger Geistlicher, der

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