Januarfluss
sich in seinem Beichtstuhl vielleicht sogar verletzt, auf die ohnehin schon viel zu lange Liste deiner Verfehlungen. «
Ich kichere. Sofort verachte ich mich für diese kindische Anwandlungâ Aldemira hätte sicher nur überheblich geschmunzelt oder ihre milde Belustigung nur mit einer hochgezogenen Augenbraue gezeigt. Dann sehe ich, dass auch Lu lächelt, und sofort verflüchtigt sich mein kleiner Eifersuchtsanfall.
» Spätestens dafür komme ich dann in die Hölle « , albere ich weiter.
» Ich fürchte, die wirst du schon heute kennenlernen « , entgegnet Lu, plötzlich wieder ernst. » Es ist kein schöner Ort, an den ich dich bringe. «
Da ich weiÃ, dass es zu nichts führt, wenn man Lu mit Fragen bestürmt, lasse ich es bleiben. Ich vertraue ihm einfach und folge ihm. Er wird sich das schon gut überlegt haben.
Nach einer Weile stillen Marschierens durch die beinahe menschenleere Innenstadt erreichen wir das Hafengebiet. Es gehört zu jenen Gegenden der Stadt, vor der Eltern aller Gesellschaftsschichten ihre Kinder warnen und in die keiner, der sich dort nicht von Berufs wegen aufhält, freiwillig seinen Fuà setzt. Einzig die Piers für die Fähren nach Niterói auf der anderen Seite der Bucht sowie die Anleger für die Passagierschiffe sind halbwegs sicher und hübsch herausgeputzt.
Der weitaus gröÃere Teil des Hafens, in dem die Frachter festmachen und in dem die Fischereiboote liegen, ist nicht für die Augen der Ãffentlichkeit bestimmt. Hier stinkt es, und üble Gestalten treiben sich herum: hartgesottene Matrosen, betrunkene Prostituierte, verlauste Bettler, gewissenlose Schmuggler. Es ist die Heimat der schlimmsten Schläger, Räuber und Mörder.
Der Grund dafür ist derselbe, der uns nun hierher führt. In dem riesigen Areal des Hafens gibt es unzählige Verstecke und Schlupfwinkel, sodass es die Polizei schwer hat, ihre Verdächtigen zu ergreifen. AuÃerdem können die Ãbeltäter, wenn sie sich auf einer Barke oder einem anderen schwimmenden Gefährt aufhalten, schnell fliehen, nämlich übers Wasser. Die Guanabara-Bucht selbst bietet mit ihren vielen kleinen Inseln und dem bestimmt hundert Kilometer langen Ufer zahllose Möglichkeiten, sich zu verbergen, dazu kommt noch die Alternative, hinaus aufs offene Meer zu flüchten.
Da Sonntag ist, wirkt der Hafen wie ausgestorben. Eine Schnapsleiche liegt in einer ekligen Pfütze vor einer verrammelten Bretterbude, die wochentags vielleicht als Verkaufsstand dient. Eine räudige Katze knabbert an etwas Gräulichem herum, das eine Garnele sein könnte, genauso gut aber auch ein Stück einer angefressenen Ratte. Und ein dunkelhäutiger Greis, dessen Haut aussieht wie zerknautschtes Leder, hockt reglos auf einem Tampen, der zum Festmachen der Leinen dient. Der Mann hat die Augen geschlossen und rührt sich nicht, er könnte auch tot sein.
Obwohl keine Fischer hinausgefahren sind und kein Fischmarkt stattfindet, lässt der Geruch keinen Zweifel daran, wo man sich hier aufhält. Der Gestank von modrigen Tauen und verschimmeltem Holz, fauligem Hafenwasser und vergammeltem Fisch ist durchdringend und so ekelerregend, dass ich nur noch durch den Mund atme, um möglichst wenig davon zu riechen. Es gelingt mir nicht ganz, und jedes Mal, wenn ich doch meine Nase zum Atmen benutze, haut mich dieser bestialische Gestank aufs Neue um.
» Jetzt weià ich, was du mit Hölle meintest. Der Geruch allein ist ja schon eine Strafe « , sage ich.
» Man gewöhnt sich daran « , erwidert Lu achselzuckend.
Das kann ich zwar nicht glauben, aber ich widerspreche nicht und hinterfrage diese Behauptung auch nicht. Ob Lu schon einmal lange genug im Hafen war, hier vielleicht gelebt hat? Woher sonst sollte er wissen, ob man sich an den Gestank gewöhnt oder nicht?
Wir gehen zu einem Fischerboot, dem ersten in einer ganzen Reihe ähnlicher Boote, die längsseits aneinander befestigt sind, sodass aus ihnen eine Art riesiges Floà entstanden ist. Man kann trockenen FuÃes vom einen zum nächsten gelangen. Zwar schaukeln die Boote, sobald man sie betritt, und auch das Klettern über die Seitenwände erfordert ein wenig Gelenkigkeit und Gleichgewichtssinn, aber trotz meines unpraktischen Kleides meistere ich diese Aufgabe mit Leichtigkeit. Wir klettern immer weiter, bis wir am letzten, dem äuÃersten Boot angelangt
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