Januarfluss
sind schon ein paar Leute auf der praça. Zwei junge Männer, fesch der eine, plump der andere, glotzen mich von ferne an. Sie rempeln sich gegenseitig die Ellbogen in die Seite, wahrscheinlich schlieÃen sie gerade eine Wette ab, wer mich als Erster ansprechen soll. Ich schaue weg, um sie nicht noch zu ermutigen, fühle mich aber trotzdem geschmeichelt. Wenig später ist der Fesche auf dem Weg zu mir, doch die Wirtin weist ihn in seine Schranken: » Lass meine Gäste in Frieden, du nichtsnutziger Lümmel. « Es wirkt. Der Bursche trottet von dannen.
Zufrieden lehne ich mich auf meinem Stuhl zurück und beobachte das Treiben auf dem Platz, der sich schnell füllt. Die Musiker stimmen noch ihre Instrumente, doch selbst die schrägen Klänge der Gitarren und des Akkordeons heben die allgemeine Stimmung und locken immer mehr Menschen an. Die Besucher des StraÃenfestes haben sich fein gemacht, auf ihre bescheidene Weise. Die Mädchen und Frauen tragen weiÃe Kleider und unzählige bunte Ketten, Armreife sowie schwere Ohrgehänge, die Männer und Jungen glänzen mit pomadisiertem Haar und gestärkten Hemden. Es liegt eine erwartungsvolle Spannung in der Luft, die sich gar nicht von der eines vornehmen Balls unterscheidet. In ihren grundlegenden Bedürfnissen ähneln sich wohl alle Menschen, ganz gleich, ob sie arm oder reich, schwarz oder weià sind, und das gilt offenbar auch fürs Feiern. Ich werde von der Stimmung angesteckt, ich wippe bereits mit dem Fuà und merke, wie ich Lust aufs Tanzen bekomme. Wenn das meine Eltern und meine Freunde sehen könnten: Senhorita Isabel de Oliveira, wie sie sich ganz ohne Begleitung auf einer Tanzvergnügung von armen Leuten amüsiert! Das wird mir kein Mensch glauben.
» Sie wollten mich sprechen? «
Erschrocken drehe ich mich um und sehe, dass eine junge Frau sich an den Nebentisch gesetzt hat. Wenn das Aldemira ist, dann ist alles noch viel schlimmer, als ich dachte. Sie ist eine Schönheit! Und sie ist keineswegs drall und voll überbordender Lebensfreude, sondern wirkt wie der Inbegriff von Eleganz und vornehmer Zurückhaltung. Wenn ihre Haut nicht so dunkel wäre, würde ich Aldemira vielleicht als ätherisch bezeichnenâ als zerbrechlich, zart oder engelhaft. Bisher hatte ich mir bei diesem Wort immer eine Frau mit sehr weiÃer Haut vorgestellt, an deren Schläfen die Adern durchscheinen und deren Blick aus wässrig blauen Augen irgendwie vergeistigt wirkt. Aldemiras Augen sind dunkelbraun und ihr Haar ist kraus. Doch ihre Züge sind fein geschnitten. Auf einem Hals, den man mit Fug und Recht als Schwanenhals bezeichnen kann, thront ein schön geformter Kopf, den sie mit stramm nach hinten gebundenem Haar betont. Ihre Stirn ist hoch, ihre Nase schmal, ihr Mund sinnlich, ihre Augen stehen schräg wie die einer Katze. In Afrika wäre Aldemira sicher eine Prinzessin gewesen. Dass sie hier in einem Kaufmannsladen arbeitet, erscheint mir unrecht zu sein. Ihre Hände sehen zu fein aus, um damit Lebensmittel einzupacken oder Münzen abzuzählen.
» Sie sind Senhorita Aldemira? « , frage ich, um meine Befangenheit zu überspielen.
In ihrer Gegenwart fühle ich mich klein, dumm und hässlich.
» Ja. Und Sie sind� «
» Senhorita Isabel « , antworte ich. Ich bin mir fast sicher, dass sie das bereits wusste. Lu wird sie bestimmt vorgewarnt haben.
Sie schenkt mir die Gnade eines kleinen, majestätischen Nickens, das sie mit einem angedeuteten Lächeln garniert. Das soll wohl eine Aufforderung sein, weiterzusprechen. Ich fühle mich unter ihrem klugen Blick wie eine Bittstellerinâ sie ist die Herrscherin, ich bin nur ein dummes Mädchen aus dem Volk.
» Ich bin auf der Suche nach Lu « , sage ich und schaffe es, meine Stimme nicht zittern zu lassen. Aldemira verfügt über eine angeborene Autorität, vor der man sich instinktiv fürchtet. Ich weiÃ, dass es albern klingt, aber ich fühle mich vor ihr förmlich schrumpfen. Gewiss hat auch ihr Alter damit zu tun. Von Gleichaltrigen lasse ich mich nicht so schnell beeindrucken, aber Aldemira muss um die zwanzig sein und hat mir damit einiges an Lebenserfahrung voraus. Ist sie nicht ein bisschen zu alt für Lu?, frage ich mich plötzlich. Was will eine solche Göttin mit einem Jungen, der ihr kleiner Bruder sein könnte?
» Er ist nicht hier. Was soll ich ihm ausrichten?
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