Januarfluss
«
Ja, was eigentlich? Ich wollte Lu mitteilen, wo er mich finden kann. Leider weià ich selbst nicht so genau, wo ich unterkommen soll. Ich habe mich von der Suche nach Aldemira und von diesem kleinen, sympathischen StraÃenfest ablenken lassen. Nun sitze ich hier, mein ganzes Gepäck auf meinem SchoÃ, und stelle erschrocken fest, dass ich mich gar nicht um eine Unterkunft gekümmert habeâ und es muss schon nach acht Uhr sein. Wenn ich mich nicht spute, wird mich keine Herberge mehr einlassen.
» Sagen Sie ihm bitte, dass er mich in⦠Kennen Sie eine anständige Pension hier in der Nähe? «
Aldemiras Lächeln wirkt mitleidig. Sie hebt fragend die Augenbrauen und stellt fest: » Sie haben noch nichts für die Nacht. Das ist nicht gut. « Ihr Ton ist derselbe, den ich bei einem völlig verblödeten Sklavenmädchen anschlagen würde.
» Nein, das ist nicht gut, genau deshalb frage ich Sie ja. « Aha, langsam finde ich wieder zu meinem alten Ich zurückâ forsch, arrogant und siegessicher. Mein Widerspruchsgeist ist geweckt.
» Es gibt unten in der Rua Riachuelo eine Frau, die Gästezimmer vermietet. Sie sollten sich aber sputen, sonst lässt sie Sie nicht mehr herein. «
Sie gibt mir die Adresse und die Wegbeschreibung.
» Sehr schön « , sage ich. » Dort bin ich also zu finden. Das können Sie Lu ausrichten. « Ich verzichte auf ein » bitte « oder andere Höflichkeitsfloskeln. Die Art, wie Aldemira mich behandelt, ist so schroff, dass sie bei mir eine ähnliche Haltung hervorruft. Das verärgerte Mädchen aus dem Volk, das seiner ungerechten Königin mit rebellischem Missmut entgegentritt.
» Gut. « Damit steht sie auf, grazil wie eine Balletttänzerin, und schwebt davon. Ich starre ihrer schlanken Gestalt nach und habe das Gefühl, dass dieses ganze Gespräch vielleicht nur in meiner Vorstellung stattgefunden hat.
Wenig später verlasse ich bedauernd meinen schönen Platz. Ich finde es schade, dass ich dem Tanzvergnügen nicht länger zuschauen oder vielleicht sogar selbst das Tanzbein schwingen kann. Mit meinem Bündel über der Schulter steige ich die schmalen gepflasterten StraÃen hinab, auf dem Weg zu dem Haus der Pensionswirtin. Mir begegnen auffallend viele Leute in ausgelassener Stimmung, die anscheinend alle zu dem Fest gehen. Ich beneide sie.
In einer Seitengasse fällt mir ein junger Mann auf, den ich nur von hinten sehe, der mich aber stark an Lu erinnert. GröÃe und Statur sind identisch, auch die Art, wie er sich bewegt, ist genau wie bei Lu. Aber dieser Mann hier ist gut gekleidet und trägt das Haar ordentlich frisiert. Sicher ist auch er unterwegs zu dem Tanzvergnügen. Ich schaue ihm einen Moment nachâ und erkenne, als er unter einer StraÃenlaterne seitlich abbiegt, dass es sich tatsächlich um Lu handelt. Oder um einen mir unbekannten Zwillingsbruder. Das edle Profil mit der klassischen Nase und dem kantigen Kinn ist unverkennbar.
Sofort vergesse ich, dass ich auf dem Weg zu der Pension war, und folge stattdessen Lu. Seine veränderte Aufmachung hat mich neugierig gemacht. Ob er sich Aldemira zuliebe so herausgeputzt hat? Aber wenn die beiden sich treffen wollen, warum hat mir Aldemira dann nicht gesagt, dass Lu in Kürze erscheinen müsse? Ist sie eifersüchtig auf mich? Will sie mich von ihrem Verlobten fernhalten?
Luâ oder sein bisher verschollener Zwillingsbruderâ geht schwungvoll die steile StraÃe hinauf. Er bemerkt mich nicht, dank der vielen Leute, die das Viertel jetzt bevölkern. Ich stapfe kurzatmig hinter ihm her, ein wenig erschöpft vom Gewicht des Beutels, den ich trage, und der schwülen Hitze dieser Februarnacht. Vielleicht ist es auch das schwere Essen, das mich träge macht. Immerhin gelingt es mir, Lu nicht aus den Augen zu verlieren. Ich entdecke Aldemira noch bevor er es tut, aber ich weià ja auch, wo sie sich noch bis vor ein paar Minuten aufgehalten hat und wie sie gekleidet ist. Als er sie schlieÃlich sieht, fällt er in einen Laufschritt. Die beiden umarmen sich herzlich, geben einander Küsschen auf die Wangen und wirken wie ein richtiges Liebespaar.
Ich kann nicht hören, was die beiden sagen, aber ich erkenne den frohen Ausdruck auf ihren Gesichtern und die Zärtlichkeit, mit der sie einander begegnen. Es tut mir in der Seele weh. Obwohl ich weiÃ, dass es besser für mich
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