Januarfluss
wäre, jetzt schleunigst zu der Pension zu gehen, bleibe ich noch ein wenig an einer Hauswand stehen, von der aus ich einen guten Blick über das Geschehen auf der praça habe, ohne selbst allzu sehr aufzufallen. Ich beobachte, wie die beiden Turteltauben zur Tanzfläche gehen, und mir stockt der Atem, als ich sehe, was für ein wunderschönes Paar sie abgeben.
Ich habe mir Lu nie als Tänzer vorgestellt, was wahrscheinlich an den Umständen liegt, unter denen wir uns kennengelernt haben, sowie an den zerlumpten Kleidern, die er bisher immer trug. Dabei macht er wirklich eine gute Figur auf dem Tanzboden. In schwarzer Hose und weiÃem Hemd sieht er auf einmal viel erwachsener aus, gröÃer irgendwie und männlicher. Sein markantes Gesicht, das heller ist als das der meisten anderen Leute hier, sticht aus der Menge heraus, und es scheint mir das schönste Gesicht zu sein, das ich je gesehen habeâ zusammen mit dem von Aldemira. Da haben sich ja wirklich zwei Exemplare der menschlichen Spezies gefunden, denke ich mit ein wenig Bitterkeit. So schön, so von der Natur bevorzugtâ und so benachteiligt im Leben, weil sie nicht als reiche WeiÃe geboren wurden, so wie ich armseliges Häufchen Elend.
Bevor ich schlieÃlich doch noch zur Pension gehe, fällt mein letzter Blick auf dieses umwerfende Paar, das eng umschlungen einen Tanz hinlegt, der so erotisch ist, dass er verboten werden müsste. Ich habe Angst vor der Nacht, die vor mir liegt, denn ich weiÃ, dass dieses Bild mich bis in meine Träume hinein verfolgen wird.
27
Am Sonntagmorgen erscheint Lu in der Pension, die Aldemira mir genannt hat und in der ich ohne gröÃere Schwierigkeiten noch untergekommen bin. Er sieht wieder so aus, wie ich ihn kenne, mit verwuscheltem Haar und unordentlicher Kleidung. Ich bin mir plötzlich überhaupt nicht mehr sicher, ob er dieser attraktive Mann von gestern Abend gewesen sein kann, es erscheint mir nun sogar ziemlich abwegig. Vielleicht hat meine Fantasie mir einen bösen Streich gespielt.
Ich freue mich, ihn zu sehen, doch ein Blick in sein Gesicht sagt mir, dass es ihm umgekehrt offenbar nicht so geht.
» Du hast uns alle in groÃe Gefahr gebracht! « , schimpft er. » Was hast du dir nur dabei gedacht, dieses blöde Geld zu stehlen und dich bei der Auspeitschung einzumischen? Um sein Gesicht vor den Sklaven zu wahren, hat der Schuft sein armes Opfer nach deinem blödsinnigen Einschreiten sogar noch schlimmer misshandeltâ der Mann schwebt zwischen Leben und Tod. «
» Oh Gott, das wollte ich nicht! « , sage ich mit zitternder Stimme. » Ich habe es doch nur gut gemeint. «
» Tja, Glückwunsch. Gut gemeint und schlecht gehandelt. « Seine Stimme trieft vor Verachtung. » Verdammt, Isabel, warum hast du das Geld nicht, wie ich es gesagt hatte, wieder zurückgelegt? «
Mir fällt auf, dass er mich nicht mehr » Bel « nennt. Das hat sicher mit dem Ãrger zu tun, den ich verursacht habe.
» Ich habe es vergessen. Und ich konnte ja nicht ahnen, dass der Schuft stündlich seine Bargeldreserven nachzählt. Ãbrigens habe ich es hinter dem Spiegel der Frisierkommode versteckt, das kannst du Rosa ausrichten. «
» Ja. Aber das war nicht sehr klug von dir. Der Schuft kann, wie du am eigenen Leib erfahren hast, sehr jähzornig sein. Und er gehört zu den Männern, die eine Niederlage nicht hinnehmen können, unter keinen Umständen. Ich fürchte, du hast dir einen gefährlichen Feind gemacht. «
» Glaubst du, er wird mich wegen dieser mickrigen Summe jagen? «
» Ja, das glaube ich. «
» Ich habe noch einen Fund gemacht « , fällt mir plötzlich wieder ein. » Ich habe ihn mir noch gar nicht so genau angesehen, aber wenn man ihn versteckt hat, wird vielleicht etwas Interessantes drinstehen. «
» Wovon redest du? «
» Ich habe einen Brief hinter der Kommode gefunden. Allerdings einen unvollendeten, sodass ich nicht weiÃ, wer ihn geschrieben hat. Warte. « Ich gehe zu meinem Bündel und ziehe den Brief daraus hervor. » Hier. «
» Meine geliebte Schwester « , liest Lu vor. » Hm, schwer zu entziffern. Vielleicht sollten wir ihn später lesen, allzu spannend dürfte die Lektüre nicht sein. Ich meine, was soll man schon seiner Schwester Geheimnisvolles schreiben? AuÃerdem haben wir keine Zeit zu verlieren. Wir sollten dich
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