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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Regen ein. Es ist zu spät, um von hier zu verschwinden. So ein Sommerregen kann in Sekundenschnelle vom leichten Tröpfeln zur reinsten Sturzflut werden, und wenn sich unter den Wassermassen das Erdreich lockert, ist Klettern nicht unbedingt ratsam.
    Â» Komm, schnell « , lädt Lu mich in mein eigenes Versteck ein. Mir liegt bereits eine schnippische Antwort auf der Zunge, doch der Regen wird, wie befürchtet, stärker, sodass ich mich lieber schnell ins Trockene rette. Sehr lang werden die Sträucher den Regen nicht von uns fernhalten, aber wenigstens haben wir in der grünen Höhle das Gefühl von Geborgenheit.
    Die Fackel hat Lu vor dem Eingang in den Boden gerammt, das Licht ist warm und gibt unserem Unterschlupf etwas Heimeliges. Wenn es nicht viel zu eng für zwei Personen wäre, könnte es geradezu gemütlich hier drin sein. Doch die große Nähe zu Lu empfinde ich als unbehaglich. Wir sitzen praktisch Oberschenkel an Oberschenkel nebeneinander, ich spüre seine Körperwärme durch den Stoff meines billigen Kleides hindurch. Auch ist mir meine flittchenhafte Aufmachung nur allzu deutlich bewusst.
    Der Regen prasselt nun lautstark auf die Bäume, einzelne Tropfen sickern bereits durch das » Dach « der Sträucherhöhle.
    Â» Die Fackel wird bald erlöschen « , sagt Lu leise.
    Â» Ja. «
    Â» Hast du Angst im Dunkeln? «
    Â» Nein. Du? «
    Er lacht kurz auf, als hätte ich ihm die lächerlichste aller Fragen gestellt. Na schön, als Junge muss er ja so tun, als habe er vor nichts Angst. Doch als ich seine Antwort höre, bin ich überrascht.
    Â» Wenn wir Sklaven etwas ausgefressen hatten, und dazu gehörten schon kleinste Vergehen wie etwa die Suche nach brauchbaren Essensresten im Schweinetrog– denn manchmal bekamen die Schweine bessere Sachen zu fressen als wir–, wurden wir zur Strafe in ein dunkles Kellerloch gesteckt. Kannst du dir vorstellen, wie es für ein Kind ist, wenn es vierundzwanzig Stunden lang allein im Dunkeln sitzt, hungrig, verängstigt, einsam? Es war die Hölle. Seitdem kann ich die Dunkelheit nicht mehr besonders gut leiden. «
    Â» Oh « , sage ich und komme mir furchtbar dumm vor.
    Â» Ach du liebes bisschen « , flüstert Lu. Im ersten Augenblick verstehe ich nicht, was das zu bedeuten hat, doch dann greift er vorsichtig nach meiner rechten Hand. Ich lasse ihn gewähren, denn nun sehe auch ich die Verletzungen. Meine Fingernägel sind abgebrochen, einer davon ist so tief eingerissen, dass Blut aus dem Nagel hervorquillt. Die Haut ist übersät mit Schürfwunden und Kratzern. Es ist kein schöner Anblick, zumal meine Hände auch derartig verdreckt sind, dass man meinen könnte, ich hätte tagelang in der Erde gebuddelt.
    Lu nimmt seinen Hemdzipfel, spuckt kräftig darauf und tupft mir die Hand sauber. Er geht dabei sehr behutsam vor und ich bin unfreiwillig gerührt. War er es nicht eben noch, der Trost brauchte? Ist nicht er derjenige, der Angst im Dunkeln hat? Stattdessen sitzt er hier und nimmt nun meine andere Hand, um auch diese zu säubern und die Wunden zu begutachten. Vielleicht hilft es ihm zu glauben, ich sei noch schutzbedürftiger als er selbst.
    In diesem Augenblick erlischt die Fackel mit einem lauten Zischen. Ich unterdrücke meinen Impuls, Lu meine Hände zu entziehen– ohne Licht kann er die notdürftige Reinigung ja nicht mehr fortsetzen. Ich schätze, dass er froh darüber ist, meine Hand weiter halten zu können, deshalb lasse ich sie, wo sie ist. Ein kaum spürbares sanftes Drücken bestätigt meine Vermutung.
    Schweigend hocken wir eine Weile in der totalen Finsternis, händchenhaltend und dem nahenden Unwetter lauschend. Gelegentlich erhellt ein Blitz unser primitives Quartier, die Donnerschläge folgen in immer kürzeren Abständen. Mittlerweile hält unser Dach aus Ästen auch den Regen nicht mehr ab, es tropft munter in unsere Gesichter, auf unsere Körper, auf unsere Hände. Es fühlt sich merkwürdig an, eine nasse Hand zu halten. Ich lehne den Kopf nach hinten und versuche, so viel Regenwasser wie möglich in meinen Mund tropfen zu lassen, denn auf einmal merke ich, wie durstig ich bin.
    Â» Bel? «
    Â» Ja? «
    Â» Du schlägst dich sehr tapfer. Ich hätte nie erwartet, dass du so viel Mumm hast. «
    Â» Danke. Aber ehrlich gesagt fühle ich mich gerade überhaupt nicht

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