Januarfluss

einsilbig? Dieses ewige » ja « verleiht ihr einen etwas einfältigen Charakter, dabei weiß ich ja, dass sie nicht dumm ist. Vielleicht hat sie die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, sich dumm zu stellen.
    Â» Ich wollte dich bitten, dieses Kleid von mir anzuziehen und damit auf die Straße zu gehen. Was weiß ich, zum Bäcker oder irgendwohin. Du müsstest jemanden ablenken, der hinter mir her ist. «
    Â» Oh. «
    Prima. Jetzt wirkt sie komplett schwachsinnig.
    Ich reiche ihr das Kleid, das sie vorsichtig nimmt und mit den Fingerspitzen streichelt, als habe sie nie zuvor etwas Kostbareres berührt. Na schön, denke ich, dann muss ich sie eben wieder für ihre Unterstützung entlohnen.
    Â» Du kannst das Kleid behalten. Aber bitte, tu mir den Gefallen und zieh es schnell an und geh jetzt damit hinunter. «
    Â» Hast du was verbrochen? « , fragt sie mit großen Augen.
    Â» Natürlich nicht! « , fahre ich sie an. Sofort bereue ich meinen harschen Ton. » Nein « , sage ich dann, diesmal freundlicher, » ich habe absolut nichts Böses getan. Aber man sucht mich, und ich fürchte, da unten stehen zwei Männer, die mich gefunden haben. Ich erkläre dir das Ganze gern später, aber jetzt ist es wirklich wichtig, dass du dich beeilst. «
    Zweifelnd neigt sie den Kopf nach rechts und nach links. Ich verstehe, was in ihr vorgeht: Sie kennt mich nicht, und nun überlegt sie, ob das Risiko, das sie eingehen soll, nicht zu hoch ist. Andererseits ist der Lohn für ihre Kooperation verlockend, denn ein Kleid von solcher Qualität hat sie sicher nie besessen, auch wenn es inzwischen nicht mehr ganz so hübsch aussieht wie früher einmal. Eine gründliche Wäsche und ein paar Nadelstiche von geübter Hand könnten Wunder wirken, denkt sie jetzt wahrscheinlich, denn sie betrachtet das Kleid voller Bewunderung und mit Gier in den Augen.
    Noch immer kann das Mädchen sich nicht zu einer Entscheidung durchringen, doch als ich wütend mein Kleid wieder an mich reißen will, lässt sie es nicht los.
    Â» Na gut « , sagt sie schließlich. » Aber das Kleid gehört ab jetzt wirklich mir. «
    Â» Ja. «
    Sie schlägt mir die Tür vor der Nase zu, was mich einigermaßen verwundert und empört zurücklässt. Das ist wirklich keine Art, sich zu bedanken.
    Wenig später öffnet sie die Tür wieder und schlüpft leise hinaus auf den Flur. Die Hände in die Hüften gestemmt vollführt sie ein paar Kreise im Tanzschritt vor mir.
    Â» Es passt wie gegossen « , freut sie sich in fehlerhaftem Portugiesisch, was ich sehr charmant finde. Ihre Augen leuchten.
    Â» Schön « , sage ich, langsam wirklich beunruhigt wegen der Männer da draußen. » Dann kannst du dich ja jetzt stolz den Nachbarn zeigen. «
    Sie nickt und stapft die Stufen hinab. Ich folge ihr. Im zweiten Stock angekommen, verabschieden wir uns knapp voneinander.
    Â» Danke « , sage ich.
    Â» Viel Glück « , wünscht sie mir.
    Dann ist sie fort.
    In unserer Wohnung renne ich sofort ans Fenster, um zu beobachten, ob das Ablenkungsmanöver funktioniert. Angélica, die endlich begriffen hat, dass ihre Beschimpfungen an mir abprallen, stellt sich schweigend neben mich. Gemeinsam verfolgen wir das Geschehen auf der Straße.
    Es läuft perfekt! Das Mädchen sieht in dem Kleid genauso aus wie ich, jedenfalls von Weitem und von hinten. Kaum tritt sie auf die Straße und wendet sich nach links, folgen ihr die Männer. Ich hoffe nur, dass sie sie nicht sofort abfangen, sondern sie noch eine Weile verfolgen.
    Â» Schlau « , lobt Angélica mich. Sie nickt mir zu, respektvoll und widerwillig zugleich, als täte es ihr in der Seele weh, dass ich unnützes Ding auch einmal etwas richtig gemacht habe.
    Â» Ich muss sofort weg von hier « , raune ich ihr zu. » Meine Sachen kann Lu mir später bringen. Sag ihm, wir treffen uns um fünf Uhr heute Nachmittag im… « Hier gerate ich ins Stocken. Welchen Treffpunkt soll ich vereinbaren? Wo ist es für uns sicher? Wo falle ich am wenigsten auf in meiner vulgären Aufmachung? Am liebsten würde ich zu Lus Hütte im Tijuca-Wald flüchten, aber allein würde ich den Weg dorthin nicht mehr finden. Schließlich fällt mir doch noch etwas ein: » Am Zuckerhut! «
    Â» Am Zuckerhut? « , fragt Angélica ungläubig nach.
    Â» Ja, genau. Lu