Januskopf
Katinka. Sie griff nach dem Dietrich. Hinter der Tür regte sich etwas. Tom. Panische Gedanken zuckten durch ihren Kopf, gleichzeitig so voller Hoffnung und wieder voller Angst, die Hoffnung könne enttäuscht werden.
»Tom?«, rief sie leise. »Tom!«
Sie hielt den Atem an. Deutlich hörte sie ein Klopfen. Ihre Finger zitterten, als sie sich an dem Schloss zu schaffen machte. Donner grollte. Blitze zuckten. Grell leuchteten sie über die Mauer. Katinka erschrak vor ihrem eigenen Schatten. Dann wurde es dunkel, und als sie sich umdrehte, wusste sie, weshalb.
Ein Mann in einem Umhang lehnte dort, etwas Schweres in der erhobenen Hand.
»Herr Isenstein«, krächzte Katinka, bevor der Hammerfäustel niederkrachte. Sie sprang ein Stück tiefer in den engen Kellerraum. Zog die Waffe, als das Werkzeug ihren Unterarm traf. Der Schmerz raste glühend bis in ihre Schulter. Die Pistole sprang davon, Katinka hörte das Metall über den Boden schleifen. Sie schrie auf und warf sich gegen Markus Isensteins Beine. Er war standfest. Schwankte nicht einmal. Hob den Fäustel.
»Nicht!«, schrie Katinka, robbte zurück und lehnte sich gegen die verschlossene Tür. Nur eine Idee. Los. Schlag zu. So fest du kannst. Schlag zu.
Der Fäustel raste auf sie nieder. In letzter Sekunde warf Katinka sich zur Seite. Holz splitterte.
»Tom!«, schrie sie. »Britta!«
Draußen tönten Schritte, Hardo musste gekommen sein. In dem engen Eingang hätten er und seine Leute Probleme, sich schnell ein Bild der Lage zu machen. Katinka richtete sich halb auf, während Markus Isenstein die Faust aus der gesplitterten Tür zog. Blut tropfte auf den Boden. Katinka schrie gellend, als sie zur Tür sprang, die nach draußen führte. Dorthin, wo ihre Pistole liegen musste. Markus Isenstein war schneller und kräftiger. Er wusste, dass er verloren hatte, und deshalb kämpfte er. Er packte Katinka am Genick und schleuderte sie in den engen Raum zurück. Seine Hand legte sich auf ihren Kehlkopf und drückte zu. Sie sah, wie er langsam den Arm hob. Der Fäustel schwebte über ihrem Kopf. Sie wehrte sich gegen die Atemnot. Trat mit den Füßen. Packte Isensteins Unterarm mit beiden Händen. Von draußen hörte sie Rufe. Dunkle Kreise drehten sich in ihrem Kopf. Dann wirbelten rote Punkte. Der Fäustel krachte herunter. Sie sah ihn in Zeitlupe auf sich zukommen, zappelte, riss sich ein Stück los, drehte den Kopf. Markus Isenstein geriet ins Straucheln. Das Werkzeug rammte direkt neben ihr in die Mauer. Streifte ihr Ohr. Sie spürte warmes Blut ihren Hals hinunterrinnen.
Licht blendete sie. Jemand packte ihren Peiniger und zerrte ihn weg. Katinka sank zu Boden, nur für einen Augenblick. Auf allen vieren sitzend rang sie nach Luft. Dann richtete sie sich auf, schwindelig, tastete sich zu der zersplitterten Tür. Neben ihr tauchte ein Polizist auf. Er trug dicke Handschuhe und knickte die Holzsplitter beiseite. Zwei Hände ragte zu ihr heraus. Zwei Hände, die sie unter allen Menschenhänden dieser Welt erkennen würde. Gefesselt, aber dennoch: Toms Hände. Katinka schlüpfte durch das Loch, gefolgt von dem Polizisten. Er leuchtete ihr. Tom lehnte an der Mauer. Kniff die Augen gegen das plötzliche Licht zusammen. Sein Mund war mit braunem Packband verklebt. Sie riss es weg. Er schrie vor Schmerz.
Alles, was geschah, verwirbelte in Katinkas Gedächtnis zu einem Brei aus Rufen, Erleichterung, Tränen und vielen, sehr vielen Worten, die versuchten zu erklären, was niemand von ihnen verstand.
Der Polizist rief nach einem Messer.
Hardo stürmte herein und schnitt Tom die Fesseln auf.
Sabine Kerschensteiner drängte an ihnen vorbei und kümmerte sich um Britta.
Carla tauchte auf.
Katinka legte die Arme um Toms Hals und kuschelte sich an ihn.
Donner krachte sehr nahe.
Tom fragte irrsinnigerweise, wie es Katinka ginge.
Britta fing an, wie ein Wasserfall zu reden.
Tom barg sein schmutziges Gesicht in Katinkas Haar.
Britta baute sich hinter Katinka auf:
»Du weißt, dass du keinen besseren kriegen kannst, oder?«
Ein Blitz zuckte.
Hardos graue Augen flackerten eisig.
Draußen setzte Regen ein.
Katinka massierte Toms taube Finger. Das Rauschen des Regens dröhnte in ihrem verletzten Ohr.
Jemand kam und desinfizierte die Wunde.
Und Carla, die Tom und Katinka in die Arme nahm und an sich drückte, stellte die einzig interessante Frage an diesem Abend:
»Warum?«
Die beiden Silben wurden vom folgenden Donnerschlag überrollt.
Epilog
Ich weiß, daß
Weitere Kostenlose Bücher