Januskopf
schicken wollen. Aber das Opfer hat sich gewehrt.«
Carla sah fragend von einem zum anderen, doch weder Katinka noch Hardo fanden Zeit, etwas zu erklären. Der Notarzt trat zu ihnen, seinen Koffer in der einen Faust, den Defibrillator in der anderen.
»Ich habe alles versucht«, sagte er erschöpft. »Aber es war nichts mehr zu machen. Ich tippe auf Herzstillstand. Der Schreck hat ihn umgebracht. Er ist nicht ertrunken.«
Er drehte sich um und ging.
»Ich hatte es vergessen«, sagte Hardo leise. »Scheiß Paris, ich habe einfach nicht daran gedacht.«
»Woran?«, fragte Katinka. Ihre Zähne schlugen aufeinander.
»Der Roman endet mit dem Tod des Protagonisten.«
»Der Mönch Medardus in den ›Elixieren‹ wird doch nicht umgebracht!«, widersprach Katinka.
»Nein. Er stirbt. Einfach so. An seelischer Erschöpfung oder wie auch immer man das nennen will.« Hardo bohrte seine Hände tief in die Jeanstaschen. »Nachdem er seine Lebensbeichte aufgeschrieben hat. Dazu hat Isenstein keine Chance mehr bekommen.«
»Aber wenn der Mord an dem Schleusenwart nicht dazugehört, und Ewalds Tod kein Mord ist, dann hat der vierte Mord, den wir uns ausgerechnet haben, noch nicht stattgefunden.«
»Nein«, antwortete der Kommissar knapp und drehte sich weg. »Und der Mörder weiß noch nicht, dass Ewald tot ist.«
»Damit ist seine Reihenfolge durcheinandergeraten.« Und er kann sich denken, dass es nicht allzu lange dauern wird, bis wir hinter die Maskerade kommen, setzte Katinka in Gedanken hinzu.
»Hardo«, drängte sie und griff nach seinem Handgelenk. Seine riesige Hand legte sich warm über ihre.
»Ich weiß, Katinka«, sagte er. »Ich weiß. Aber wir tun alles, damit wir ihn rechtzeitig finden.«
23. Der vierte Mord
Sabine brachte kurz darauf eine Tasche mit trockenen Sachen für Katinka, T-Shirt und einen warmen Pullover, Jeans, Wäsche. Sogar an Socken und Schuhe hatte sie gedacht.
»Was anderes habe ich so schnell nicht gefunden«, entschuldigte sie sich, als sie die dicken Wanderstiefel hochhielt.
Das war Katinkas geringstes Problem. Dankbar kroch sie in Brittas Auto und zerrte sich die nassen Sachen vom Leib. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie lange brauchte, aber es gab ohnehin genug, worüber sie nachdenken konnte. Sabine hatte den Motor angestellt und die Heizung aufgedreht. Die warme Luft tat gut, reichte aber bei Weitem nicht aus, um Katinka aufzuwärmen. Ein Lauf wäre jetzt das Richtige, dachte sie, während sie die nassen Klamotten zu einem Haufen rollte und auf die Fußmatte warf. Nie war sie so glücklich über trockene Sachen gewesen wie gerade jetzt. Als sie endlich alles angezogen hatte, ausstaffiert wie für eine Gipfeltour, kroch sie aus dem Auto. In der Ferne rumorte mürrisch der Donner. Sie schauderte. Obwohl der Wind schwüle Luft verwirbelte, hatte sie das Gefühl, in einer Tiefkühltruhe zu sitzen. Rasch schnallte sie ihre Waffe fest, steckte ihr Handy in die Jeanstasche. Sie sah sich nach Carla um. Die stand ein paar Meter neben Ewalds Leiche. Gerade fuhr ein Bestattungswagen herbei. Katinka hatte schon oft die einfachen Särge gesehen, in denen Mordopfer weggebracht wurden. Jedes Mal hakte sich erst in diesem Moment die Erkenntnis fest, dass ein Leben zu Ende gegangen war. Charlotte Isenstein kam ihr in den Sinn, sogar Dr. Thompson. Ihr Starpatient war nicht mehr.
»Carla?«
»Katinka, bist du o.k.?« Carla tupfte sich verschämt die Augen.
»Wo ist Britta?«, fragte Katinka.
»Nachdem ich Uttenreuther angerufen hatte, haben wir uns zwei Fahrräder von den Nachbarn geliehen und kamen hierher.«
Katinka holte scharf Luft.
»Ihr seid zusammen gekommen?«
»Ja, über den Radweg unten am Kanal!« Carla starrte Katinka entgeistert an. »Wo ist Britta, Katinka? Sie war die ganze Zeit vor mir, aber kurz vor der Schleuse fiel sie plötzlich zurück. Sie rief mir von hinten noch zu: ›rechts halten‹, aber ich hatte die Schleusentürme schon gesehen. Ich trat einfach in die Pedale.«
Katinka drehte sich um und rannte über die Brücke, vorbei an den verdutzten Polizisten. Das Frachtschiff dümpelte noch in der Schleuse. Ein Boot der Wasserpolizei ankerte flussabwärts am Kai. Katinka lief Richtung Kanal. Sie sah die breiten Steinstufen, die die ganze Böschung bis zum Wasser hinunterführten. Schon von oben erkannte sie, was dort auf den Treppen lag: ein Fahrrad, das jemand nicht einfach nur achtlos fallen gelassen, sondern mit Kraftaufwand möglichst weit zur Wasserkante
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