Je mehr ich dir gebe (German Edition)
Wahnsinnsstimme«, sagte Jonas. »Und so einen wunderschönen Mund und wunderschönen Busen und …« Er fuhr mit der Fingerspitze über ihr Schlüsselbein.
»Jonas, hör mal zu!« Sie musste ihm unbedingt noch erzählen, wie sie heute Schauspieler und Filme analysiert hatten.
»Weißt du, was mein absoluter Lieblingsfilm ist?«, unterbrach er sie und wartete.
»Nun sag schon.«
»Der Himmel über Berlin«, sagte er und seine Augen leuchteten.
Und ausgerechnet den kannte sie nicht.
»Musst du unbedingt sehen! Gerade du, als angehende Schauspielerin.« Er küsste sie auf die Nase. »Das ist nicht nur ein Film, das ist …« Und schon war Jonas aufgestanden und es wurde kühl an ihrer Haut. Sie zog sich die Decke über den Bauch.
»Bin gleich wieder da«, hat er noch gesagt, und sie hat sich nichts dabei gedacht, keine Vorahnung, kein mulmiges Gefühl. Noch ganz satt von ihm, lag sie im Bett und schaute zu, wie er in seine Klamotten stieg. Graue Bruno-Banani -Boxershorts, Jonas wollte, als er klein war, Astronaut werden und Bruno Banani hatte mal Unterhosen für Astronauten entwickelt. Jetzt war davon nur noch die Vorliebe für die Unterwäsche übrig geblieben, und Jonas war sich auch nicht mehr so sicher, was er werden wollte. Musiker vielleicht, oder Ingenieur, oder Speiseeisdesigner.
»Du hast es gut, du wolltest immer schon Schauspielerin werden.«
Wie selbstverständlich er das sagte. Keiner aus ihrer Familie hatte sie diesbezüglich so ernst genommen. – Alle Mädchen wollen in ihrem Leben mal Model oder Schauspielerin werden – das ist Mamas Spruch –, doch irgendwann kommen sie darüber hinweg und werden was Richtiges. Lehrerin zum Beispiel, wie ihre Mutter. Immerhin bezahlen ihre Eltern den Sprechunterricht, die Improvisationsworkshops und, wenn sie Glück hat, auch noch den »Spielen-vor-der-Kamera-Kurs«, damit sie für die Filmschauspielschule Berlin gerüstet ist, denn dahin möchte sie, gleich nach dem Abi, unbedingt!
»Schauspielerinnen müssen sich doch heute alle prostituieren«, pflegt Papa zu sagen. »Mit jedem ins Bett gehen und sich dabei noch filmen lassen. Sogar im Tatort wird ja schon gevögelt. Findest du das nicht eklig?«
So ein Quatsch! Aber wahrscheinlich ertragen Väter es nicht, ihre Töchter vögeln zu sehen, ob im Tatort oder sonst wo. Umgekehrt wäre es für die Töchter ja auch komisch, absurder Gedanke. Natürlich würde sie auch nicht jede Szene spielen, dabei gehört Sex zum Leben wie Essen und Trinken – und zur Schauspielerei. Fragt sich nur, wie weit man geht. Aber darüber muss sie sich jetzt noch keine Gedanken machen, erst mal auf das Sprechtraining konzentrieren. – Unter dunklen Uferulmen wurdest durch Blut und Wunder ruhmlos ruhend du gefunden. Mit Sprachkunst und Präsenz, sagt ihr Lehrer, Herr Lambosi, überzeugt man das Publikum. Ihre Eltern bestimmt auch. All die Familienfilme, die sie seit ihrem sechsten Lebensjahr gedreht hat, fanden sie ja auch toll.
»Schatz, bringst du Zigaretten mit?«, sagt Julia mit rauchiger Stimme und versucht lasziv zu lächeln, mit Augenaufschlag natürlich.
»Und ein Eis.«
Jonas spielt mit. »Was für ein Eis hätte sie denn gern?«
»Irgendwas Fruchtiges, Frisches, was am Stiel – Solero? – Das können wir zu zweit schlecken.«
Er schmunzelt, verbeugt sich vor ihr, sagt: »Ouí, Madame, avec plaisir.«
Und dann eine Zigarette danach, im Bett, so wie in diesen prähistorischen Filmen wie Der blaue Engel , mit Marlene Dietrich. Kann es etwas Schöneres geben?
Sie hatten den ganzen Tag Zeit. Snickers und Rudi, seine WG-Kumpels, kamen erst am Abend von der Ostsee wieder, also könnten sie später sogar noch nackt in der Küche sitzen.
Jonas schlüpfte in die Jeans, zog das hellblaue T-Shirt an, das seinen Augen so schmeichelte, und schnappte sich seinen Helm. Dann kam er noch mal ans Bett und küsste Julia auf die linke Brustspitze.
»Ich liebe dich«, sagte er. Und verschwand.
Später, als er nicht wiederkam, ging ihr alles Mögliche durch den Kopf, auch dass sie das mit den Zigaretten nicht hätte sagen sollen. Wegen diesem blöden Scherz, wo der Mann Zigaretten holen geht und nicht wiederkommt.
Aber Jonas wollte nur den Film holen. Der Himmel über Berlin .
Noch war der Himmel blau.
Sie drehte sich auf die Seite. Auf einer Holzkiste stand eine Beck’s -Flasche mit einer rosa Mohnblume. Jonas hatte sie gekauft, weil sie ihn an Julia erinnerte, an ihre Blütenblätter. Julia schaute an die Wand.
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