Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)
ich pack Ihnen mal noch eine Probe von unserem neuen Senioren-Poliershampoo für extra dünnes Haar dazu, da kann sich Ihre Frau auf Ihrem Adonis-Schädel spiegeln. Ach, wissen Sie was? Ich leg zwei dazu! Hier, die neuen Vitamine ab sechzig kriegen Sie auch noch! Aber nur, weil Sie es sind! Sie wissen ja, wie wichtig Sie uns als Kunde sind – wir alle hier wollen schließlich, dass es Ihnen gutgeht. Vielleicht entschließen Sie sich ja doch irgendwann, mal ganz zu uns zu wechseln … Herr Mockridge, Sie wissen: Wir haben immer ein offenes Arzneilager für Ihre Sorgen und Probleme!«
Jedes Mal geht das so. Etwas genervt, doch auch geschmeichelt nehme ich all die Geschenkproben gerne an – wirklich wechseln zur Schumann-Apotheke würde ich trotzdem nie. Das liegt nicht zuletzt am ultimativen Trumpfass der Burg: Sie ist ihres Zeichens eine waschechte 24-Stunden-Apotheke. Für mich als Senior der absolute Jackpot. Wie oft schon leuchtete mir mitten in der Nacht, wenn der Ischias wieder aufschrie, ihr hellrot strahlendes »A« den Weg? Wie die heiligen drei Könige dem Stern von Bethlehem folge ich fast magisch dem Leuchten – im Gegensatz zu denen will ich allerdings nichts bringen, sondern was abholen: schmerzstillende Salbe, Aspirin, vielleicht noch die aktuelle Ausgabe der »Apotheken-Umschau« zur Ablenkung. All dies kriege ich in der Burg: wenn es sein muss, auch nachts um halb drei. So definiere ich Luxus. Zwar schläft die pharmazeutisch-technische Angestellte, die für den Nachtdienst eingeteilt ist, mit ihren tiefen Augenringen hinterm Tresen manchmal fast ein, aber dann halte ich sie einfach mit meinen zahlreichen Wünschen so lange auf Trab, bis sie wieder fit ist. Manchmal treffe ich nachts in der Burg sogar einen oder zwei meiner Boulefreunde – den Friedhelm oder den Edgar zum Beispiel. Dann stoßen wir erst mal mit einer Verschlusskappe »Doppelherz« oder »Wick MediNait« an und plaudern ein bisschen.
Sie merken schon: Im Grunde ist die Burg für uns so eine Art Stammkneipe mit dem härteren Stoff. Wobei das in meiner Apotheke noch viel weiter geht: Neulich (tagsüber) beobachtete ich, wie ein älteres Paar hereinkam. Beide schon so um die achtzig, nicht mehr ganz taufrisch also – umso frischer jedoch ihre Liebe. Man merkte sofort, und zwar schon allein daran, wie sie sich anschauten: die haben Motten im Bauch!
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte die Apotheken-Angestellte mit einem freundlich gewinnenden Lächeln wie der Chef persönlich.
Schweren Herzens lösten die beiden ihren verliebten Blick. Die Frau schlurfte zur Theke. »Ja, Herr, äh … Herr Schulz, eine Frage: Haben Sie diese neuen Blutdruckmessgeräte? Die mit Memomatic für schnelles Aufpumpen und Spektrum-Analyse-Display?«
Chef Schulz wusste sofort Bescheid. »Der Blood-O-Mat-3000? Ja, natürlich, den haben wir da.«
»Ah, schön, … schön!« Die Augen der frisch verliebten Kundin leuchteten noch glücklicher als sowieso schon. »Und … und haben Sie auch diese niedlichen kleinen Toilettensitzerhöhungen? Die mit den verstellbaren Armlehnen?«
Der kompetente Apotheker im weißen Kittel nickte. »Haben wir auch da.«
»Schön, … sehr schön!« Die ältere Dame war begeistert. »Und diese praktischen ausziehbaren Zehenzwischenreiniger, die man von oben durch die Zehen führen kann?«
»Haben wir da.«
»Diese extra großen Schnabeltassen? Wo 0,5 Liter reinpassen?«
»Auch da.«
»Diese Thermo-Sitzkissen mit zuschaltbarer Heizfunktion?«
»Haben wir alles da!«
Da drehte sich die Kundin nur noch zu ihrem Freund um, strahlte ihn an: »Du Schatz, das ist genau der richtige Laden für unsere Hochzeitsliste!«
Das ist sie – meine geliebte Burg. Mein natürlicher Lebensraum. Mein heimlicher Erstwohnsitz. Mein Zuhause. Übrigens: Mein Freund Edgar hat läuten gehört, dass die Schumann-Apotheke jetzt auch einen 24-Stunden-Service aufziehen will. Extra für mich. Die lassen einfach nicht locker. Putzig. Vielleicht schau ich mir das mal an, wenn ich von der Hochzeit zurückkomme, zu der mich das ältere Paar spontan eingeladen hat. Wie alle anderen Anwesenden in meiner Stammapotheke auch. So was gibt es dann halt doch nur in der Burg.
Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte: Es ist 3:50 Uhr in der Nacht – ich hab heute sehr lange geschrieben. Höchste Zeit, den Computer herunterzufahren. Ich muss los. Um 4:00 Uhr beginnt die »Happy Hour«!
Sie wissen schon, wo.
18.
Das »Mensch, du siehst aber gut aus,
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