Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)
Verpflichtung im Leben war, in seinem Heim pünktlich zum Mittagessen aufzutauchen. Nun ja. Wahrscheinlich war ich trotzdem zu hart gewesen, plagte mich sofort das schlechte Gewissen. Zum Glück sprangen mir meine ausgezeichneten Verdrängerqualitäten hilfreich zur Seite und verstauten dieses Gefühl in der hintersten dunklen Kammer meines Hirns mit einem dicken Sicherheitsschloss plus Zahlencode davor, den ich direkt vergaß. In vier Wochen würde ich bei Robert alles gutmachen, nahm ich mir vor. Dann würde ich zu ihm fahren und ihm seine witzige Geschichte erzählen. Aber jetzt musste ich unbedingt weiterschreiben.
Vor einer Woche dann rief mich am frühen Abend Beppo an. Im Gegensatz zu Robert erwischte mich Beppo in einem äußerst günstigen Moment. Ich hatte mein Schreibpensum für diesen Tag erledigt und es mir gerade auf dem Sofa bequem gemacht.
»Bill, hier ist der Beppo.«
»Beppo, mein Freund. Schön, dass du anrufst. Du, ich hab heute ein Kapitel geschrieben, ich glaube, das ist das bisher beste …«
»Bill …«
»… es geht um Schönheits-OPs, das hat schon auf der Bühne immer ganz prima funktioniert …«
»Bill …«
»… mit der Geschichte, wie ich Margie frage, wie ich aussehe, kennst du doch, wo Margie mich dann mit Sean Conn …
» Bill ! Verdammt nochmal! Robert ist tot!«
Ich war auf einen Schlag still.
»Bitte …? Wer ist tot?«, hörte ich mich nach einer gefühlten Ewigkeit leise ins Telefon fragen.
»Der Robert. Ist vor einer Stunde gestorben. Einfach eingeschlafen. Der saß bei sich im Zimmer auf dem Stuhl – als ob er auf jemanden gewartet hätte.«
Beppo erzählte noch mehr über die Umstände, aber ich bekam das gar nicht mehr richtig mit. Während ich seine Stimme aus dem Hörer nur noch akustisch wahrnahm, starrte ich durchs Fenster raus ins Leere. Und dachte dabei nur an eines: eine versprochene, aber nicht erzählte witzige Geschichte.
Vorgestern war die Beerdigung. Pastor Kapmann hat in seiner Rede Robert so wieder aufleben lassen, als würde der, den wir eigentlich betrauerten, noch immer zwischen uns sitzen und wild an seinem Hörgerät rumfummeln, um alles Lob und alle Komplimente über sich ganz genau mitzukriegen. Nach der Messe trugen Sannemann und seine Jungs Robert auf unserem Friedhof in Bonn-Endenich zu Grabe. Wie sehr habe ich mir in diesem Moment gewünscht, die Sannemänner würden auch mit Robert gegen den Pfeiler laufen und er in seiner Kiste stöhnend wieder aufwachen (ich berichtete). Doch: Fehlanzeige. Robert war nicht mehr. Und ich war nicht mehr bei ihm gewesen.
Nachdem sie Robert ins ausgehobene Erdloch hinabgelassen hatten, Friedhelm ihm seine Boulekugeln mit ins Grab gelegt hatte, war ich an der Reihe, von unserem Freund Abschied zu nehmen. Mit feuchten Augen trat ich vor, senkte den Kopf hinunter auf den Sargdeckel.
»Tja, du alter Ötzi. Ich denke, ich schulde dir eine witzige Geschichte …«, schluckte ich. »Du bist doch so gerne skilaufen gegangen in Tirol – also, eine witzige Skilaufgeschichte: Eine fünfzigjährige Frau steht oben auf der Piste und will runterfahren ins Tal. Plötzlich aber spürt sie ein dringendes Bedürfnis. Es ist niemand zu sehen, also fährt sie auf ihren Skiern an den Rand der Piste hinter einen Baum, zieht die Hose runter, hockt sich hin und lässt der Natur freien Lauf. Zu spät merkt sie: Sie hockt ein bisschen auf einem Abhang. Langsam fängt sie an, rückwärts zu rutschen, der Abhang wird steiler und steiler, die Frau gewinnt an Fahrt, zum Schluss saust sie mit über hundert Sachen unter dem Skilift durch, über den Hügel, überschlägt sich zweimal und bricht sich den Arm. Man bringt die arme Frau ins Krankenhaus, wo der Arm eingegipst wird. Zwei Stunden später steht sie auf dem Flur und wartet auf ihren Sohn, dass er sie abholt. Plötzlich wird ein Mann im Rollstuhl neben ihr abgestellt, dem sie das Bein eingegipst haben. Die Frau fragt höflich: ›Na, wie haben Sie sich denn das Bein gebrochen?‹ Worauf der Mann entgegnet: ›Das glauben Sie mir nie , wenn ich Ihnen das erzähle … Ich fuhr vorhin mit dem Skilift auf die Piste – auf einmal düste eine Frau runter. So einen Fahrstil haben Sie in Ihrem Leben noch nicht gesehen! Rückwärts in der Hocke, mit blankem Hinterteil! Das wollte ich mir genauer anschauen, habe mich nach vorne gelehnt und bin aus dem Stuhl gefallen. Dabei habe ich mir das Bein gebrochen. Der ganze Urlaub im Arsch …‹ Noch bevor die Frau sich
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