Jeans und große Klappe
anders kann ich mir das ewige Glucksen, Kichern, Gackern und Räuspern nicht erklären. Gelegentliche Kostproben von Steffis Monologen ließen meine Neugier aber schnell versiegen.
»Als ich den Tommi getroffen habe (es könnte auch Mark oder Phil oder Peter oder Steve, der eigentlich Stefan heißt, gewesen sein) … da hat er zu mir gesagt … (Kichern), daß die Sandra … (oder Dany oder Bärbel oder Monika) zu ihm gesagt hat … (Glucksen), wenn die Heike morgen noch mal… (Hüsteln), naja, du weißt schon (bedeutungsschwere Pause), also wenn die wieder mit dem Jörg …«
In diesem Stil geht es so lange weiter, bis Nicki oder Sascha einfällt, daß das Telefon schon so lange nicht mehr geklingelt hat. Die Zuleitungsschnur benutzen sie als Ariadne-Faden, stöbern Steffi in ihrem Versteck auf und drücken kurzerhand auf die Gabel.
Der entnervte und nicht ganz unbegüterte Vater einer von Stefanies Freundinnen schenkte seiner Tochter zum fünfzehnten Geburtstag einen eigenen Telefonanschluß. Freudestrahlend lud sie die gesamte Clique ein, die auch geschlossen aufmarschierte, um nun endlich ungestört und ausgiebig der Leidenschaft des Telefonierens zu frönen. Als sie sich versammelt und in Claudias Zimmer verbarrikadiert hatte, kam die Ernüchterung. Alle waren da, und es gab niemanden, den sie hätten anrufen können.
Regel Nr. 10:
Erwarten Sie von keinem Teenager Höflichkeit oder gar Manieren. Er hat keine mehr. Hinweise auf sein früheres Benehmen, das schon im Kindergartenalter den landläufigen Ansprüchen genügt hatte, wird er verächtlich beiseite schieben: »Damals konntet ihr diese Dressurprüfungen ja noch mit mir machen …«
Teenager liegen quer im Sessel, hängen über der Stuhllehne, lümmeln sich halb über den Tisch und halten sich vorzugsweise auf dem Fußboden auf, wo sie sich mitunter auch beköstigen. Ein Teenager starrt die Unterhosen im Schaufenster an oder die Bierreklame an der Litfaßsäule, um nicht grüßen zu müssen. In Gegenwart von Fremden schrumpft sein Wortschatz auf den eines Halbidioten, und das verständnisvoll-mitleidige Lächeln der Besucher bestätigt einem denn auch, daß sie ihn für einen solchen halten.
Bei einer Schulveranstaltung lernte ich einmal eine Dame kennen, die sich erkundigte, ob ›die reizende kleine Steffi‹ meine Tochter sei.
»Die müssen Sie verwechseln. Meine Tochter heißt zwar Stefanie, aber reizend ist sie schon lange nicht mehr.«
»Wie können Sie nur so etwas behaupten? Ich wäre glücklich, wenn meine Silke sich nur halb so gut benehmen würde wie Ihre Steffi.«
Silke? War das nicht das nette wohlerzogene Mädchen, das ich Stefanie schon mehrmals als lobenswertes Beispiel vorgehalten hatte?
Nachdem ich mit Frau Baumers eine Viertelstunde lang Erfahrungen ausgetauscht hatte, kamen wir beide zu der Erkenntnis, daß unsere Kinder offenbar ein Doppelleben führten.
Brühwarm erzählte ich Rolf, welche Entdeckung ich soeben gemacht hatte. Der war aber gar nicht überrascht.
»Ich habe mir schon beinahe gedacht, daß sie sich woanders halbwegs zivilisiert benehmen, sonst wären sie doch überall schon rausgeflogen.«
»Kannst du mir dann vielleicht erklären, weshalb sie sich in den eigenen vier Wänden so widerlich aufführen?«
»Weil es Teenager sind!«
Regel Nr. 11:
(Sie ist die wichtigste und sollte eigentlich an erster Stelle stehen.) Lassen Sie sich nie-, nie-, niemals zu einer Äußerung über Kleidung und Frisur Ihres Teenagers hinreißen. Die Folgen könnten fürchterlich sein! Offenbar ist es Pflicht jeder Generation, sich nach Möglichkeit so zu kleiden, daß es die Eltern empören muß.
Ein Teenager macht aus seiner äußeren Erscheinung eine Weltanschauung. (Das waren noch Zeiten, als Leute, die Schlosserhosen trugen, auch wirklich arbeiteten!) Ein Teenager zieht nur das an, was gerade ›in‹ ist, selbst dann, wenn es ihm gar nicht gefällt. Stefanie erschien einmal in einem violetten T-Shirt, über das sie eine giftgrüne Bluse geknotet hatte. Eingedenk meiner Devise, in jedem Fall den Mund zu halten, sagte ich nichts, aber mein Blick muß wohl genügt haben. Steffi besah sich etwas zweifelnd im Spiegel und meinte dann in einem seltenen Anflug von Einsicht: »Na ja, sieht ja ein bißchen komisch aus, aber das tragen jetzt alle.« Und gegen das, was alle tragen, ist kein Kraut gewachsen.
Wer nun eigentlich bestimmt, was ›in‹ ist, weiß ich nicht, zumal der jeweilige Modehit regionale Unterschiede aufweisen
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