Jeans und große Klappe
kein Mensch mehr, die können wir prima auf dem Flohmarkt verhökern«, begründete er sein barbarisches Tun.
»Dir geht's wohl nicht mehr gut! Weißt du überhaupt, daß diese alten Schwarten schon beinahe antiquarischen Wert haben?«
Entsetzt prüfte ich Saschas Ausbeute. Da lagen doch tatsächlich die beiden Bände ›Soll und Haben‹, erschienen 1904, ferner die aus dem vergangenen Jahrhundert stammende und mir von meiner Großmutter vererbte Rarität ›Die Frau als Hausärztin‹, und ähnliche bibliophile Kostbarkeiten, ausnahmslos in Frakturschrift gedruckt und schon allein deshalb von Sascha als unleserlich bezeichnet.
»Raus hier, aber sofort! Und wehe, wenn du noch ein einziges Buch anrührst!«
Maulend stellte Sascha die Bücher zurück. Er begriff auch nicht, daß ich mich weigerte, diese ›entsetzlich kitschige Vase mit den Bommeln dran‹ herauszurücken. Noch viel weniger begriff er, daß ich ein ähnliches Stück später für zwei Mark und fünfzig Pfennig auf dem Flohmarkt erwarb.
»Dabei wollte Frau Schreiner das Ding schon in den Mülleimer werfen, der Manfred hat es gerade noch retten können«, bemerkte mein Sohn kopfschüttelnd. Er interessiert sich auch heute noch nicht für Meißner Porzellan!
Und dann war es endlich soweit! Die seit zwei Wochen an nahezu allen Schaufensterscheiben klebenden Plakate, mit denen für das große Spektakel geworben wurde, bekamen feuerrote Aufkleber mit dem Hinweis ›HEUTE‹. Meine beiden Knaben bekundeten ein auffallendes Interesse für den Wetterbericht und bestanden im übrigen darauf, daß ich mich spätestens um neun Uhr im Handarbeitssaal einzufinden hätte, um die Tombolagewinne auszuzeichnen: »Alles andere ist bis dahin fertig.«
Als ich um halb zehn meinen künftigen Wirkungskreis betrat, fand ich außer zwei etwas ratlos dreinblickenden Müttern mehrere Bretter vor, diverse Rollen Kreppapier, drei leere Colaflaschen und einen Zettel mit dem Hinweis ›Schlüssel liegt beim Hausmeister‹.
»Was denn für ein Schlüssel?«
Die anderen Mütter wußten das auch nicht. Zum Glück tauchte Sven auf, der sich von meinem fristgemäßen Arbeitsantritt überzeugen wollte.
»Kannst du mir freundlicherweise mal erklären, was wir in dieser kahlen Bude überhaupt sollen? Und was ist das für ein Schlüssel, der beim Hausmeister liegt? Findet die Tombola nun doch in einem anderen Raum statt?«
»Nee, die kommt hier rein.« Sven sah sich suchend um. »Da liegen doch auch schon die Bretter. Und der Schlüssel gehört zum Kartenzimmer, da stehen nämlich die ganzen Gewinne. Die müßt ihr natürlich erst mal herunterholen.«
»Natürlich! Ich wollte sowieso schon immer mal einen Rekord im Treppensteigen aufstellen! Und wo dürfen wir dann die ganzen Sachen aufbauen? Vielleicht auf dem Fußboden?«
»Woher soll ich das wissen?« Mein Sohn zeigte sich wenig interessiert. »Ich glaube, hier kommen noch ein paar Tische rein und Stühle. Frau Thiemann meinte, mit den Brettern könnte man so eine Art Pyramide bauen und dort die Preise aufstellen. Das sieht bestimmt ganz dekorativ aus.«
»Wo ist denn Frau Thiemann?«
»Nicht da.«
Anscheinend hatten sich alle Vorbereitungen darin erschöpft, Spenden zu sammeln und irgendwo anzuhäufen, während man sich nicht im geringsten den Kopf zerbrochen hatte, wie man diese Dinge schließlich an den Mann bringen würde.
»Ich gehe am besten erst mal zum Hausmeister«, erklärte ich meinem Erstgeborenen, »und du treibst inzwischen Tische auf und nach Möglichkeit Hilfstruppen, die den ganzen Kram aus dem Kartenzimmer herunterholen.«
»Ich glaube nicht, daß ich welche kriege, die haben alle zu tun«, meinte Sven gleichmütig. »Den Hausmeister findest du übrigens an der Bierbar!«
»Scheint wohl der einzige betriebsbereite Stand zu sein«, murmelte eine meiner Leidensgefährtinnen und beäugte mißtrauisch die kalkbespritzten Bretter. »Die müssen direkt von einer Baustelle stammen.«
An der Bierbar fand ich zwar drei schon sehr beschwingte Väter, die sich nicht einigen konnten, welches Bier aus welchem Glas am besten schmeckte, und deshalb immer neue Varianten probierten, aber den Hausmeister entdeckte ich erst in der danebenliegenden Weinstube. Auch hier waren Väter tätig. Sie sortierten die Rotwein- von den Weißweinflaschen, wobei sie sich weniger auf die Etiketten, als mehr auf ihre Geschmacksnerven verließen. Die Stimmung war großartig, und die Bereitwilligkeit, etwas für die Figur zu tun,
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