Jeans und große Klappe
unverkennbar.
»Das machen wir schon, junge Frau«, säuselte ein bärtiger Mittfünfziger weinselig und umarmte mich haltsuchend. »Wir gehen jetzt zusammen in das Kartenzimmerchen und sehen uns die ganzen Sachen an!«
»Leider habe ich keinen Schlüssel, den hat nämlich der Hausmeister.«
Mein hilfsbereiter Casanova drehte sich langsam um und drohte seinem Gegenüber schelmisch mit dem Finger: »Wilhelm, gib den Schlüssel her, für so was bist du viel zu alt!«
Ich nützte die Gelegenheit und türmte.
Im Handarbeitssaal hatte sich in der Zwischenzeit einiges getan. Sven hatte ein buntes Sammelsurium von Tischen organisiert, Knaben hämmerten mit mehr Enthusiasmus als Kunstverständnis Kreppapier an die Bretter, Mädchen arrangierten Gurkengläser neben Häkeldeckchen, setzten Blumentöpfe dazwischen und tauschten schließlich die Gurken gegen Rotkohlgläser aus, damit die farbliche Harmonie wieder hergestellt wurde.
»Du kannsch doch net die Eieruhr zu de Rommékarte packe!« bemängelte jemand.
»Warum en net? Moinsch du, dei Rollmöps mache sich newe de Strampelhose besser?«
Ich versuchte vergeblich, in das ganze Arrangement ein gewisses System zu bringen: »Warum stellt ihr nicht das Eingemachte auf die eine Seite, alle Textilien auf die andere und in die Mitte den restlichen Kram?«
»Dann sieht's aus wie innem Tante-Emma-Lade!«
»Na, kommste klar?« Sascha inspizierte fachmännisch unseren Aufbau und meinte kopfschüttelnd: »Sieht eigentlich mehr nach Flohmarkt aus. Wo habt ihr denn die Panflöte her?«
»Das ist eine Windharfe!«
»So? Na, von mir aus, aber scheußlich ist sie trotzdem. Jetzt müßt ihr noch mal den linken Tisch zur Seite rücken, der Hauptgewinn rollt nämlich an!«
Das tat er dann auch im wahrsten Sinne des Wortes. Ein riesiges rot-schwarz lackiertes Wagenrad wurde hereingerollt und von den beiden jugendlichen Transportarbeitern vorsichtig an ein Brett gelehnt. Prompt bewies sich wieder einmal das Gesetz der Hebelwirkung: Zwei Usambaraveilchen, ein Glas Meerrettich und ein Steinguttöpfchen mit Düsseldorfer Löwensenf zerschellten auf dem Fußboden.
»Das soll der Hauptgewinn sein?« fragte ich ganz entsetzt.
»Hast du eine Ahnung, was diese Dinger kosten!« Sorgfältig entfernte Sascha einen winzigen Schmutzstreifen von einer roten Speiche.
»Aber was fängt man denn mit so einem Ungetüm an?«
»Es gibt Leute, die stellen sich so was in den Vorgarten und dekorieren es mit Geranientöpfen.«
»Und wer keinen Garten hat?«
»Der kann sich das Ding ja an die Balkondecke nageln und Wäsche dran aufhängen. Hast du übrigens mal zwei Mark? Ich habe Hunger, und die Grillstation ist schon in Betrieb.«
Ich warf einen Blick auf meine Uhr. »Heiliger Himmel, es ist ja gleich eins! Ich muß sofort nach Hause und irgend etwas Eßbares in die Pfanne hauen!«
»Brauchst du nicht. Papi kocht schon!«
»Auch das noch! Dann kann ich am Abend ein zweistündiges Revierreinigen veranstalten.« Diese Aussicht fand ich alles andere als verlockend.
Sascha beruhigte mich: »Das macht Steffi zusammen mit den Zwillingen. Ich habe ihnen versprochen, daß sie umsonst ins Kino dürfen. Sieh lieber zu, daß du hier fertig wirst, in einer Stunde geht der Rummel los!«
Aber schon jetzt schlenderten vereinzelte Besucher aber den Schulhof, angelockt durch das ohrenbetäubende Gejaule, das aus der zur Diskothek umfunktionierten Aula klang.
Allerdings erkannte mein geübtes Auge sofort, daß es sich bei diesen Besuchern um Kurgäste handelte, die vermutlich ihre Solebäder, Massagen und Inhalationen bereits am Vormittag hinter sich gebracht, das Mittagessen Punkt zwölf Uhr vereinnahmt hatten und nun bestrebt waren, die Zeit bis zum Abendessen totzuschlagen. Sie begrüßen dankbar jede Abwechslung, ganz besonders dann, wenn sie schon seit mindestens zwei Wochen hier kuren und somit alle Spazierwege und Sehenswürdigkeiten einschließlich Waldsee und Fünfmühlental kennen. Nach diesem Zeitraum sind sie sogar bereit, Kindergartenfeste zu besuchen oder Lichtbildervorträge über Kurdistan oder die Fidschi-Inseln.
Kurgäste unterscheiden sich von den Einheimischen in sehr wesentlichen Punkten und sind deshalb auf Anhieb zu erkennen. Sie sind im Frühjahr die ersten, die weiße Hosen tragen, und im Herbst die letzten, die sie wieder ausziehen. An heißen Tagen lustwandeln männliche Kurgäste in Shorts durch die Straßen, weibliche in sehr luftigen Kleidern, die tiefe Einblicke in die diversen
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