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Jede Sekunde zählt (German Edition)

Jede Sekunde zählt (German Edition)

Titel: Jede Sekunde zählt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lance Armstrong , Sally Jenkins
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wenden, den ich niemals etwas Unrechtes habe tun sehen?«
    Mir sei bewusst, fuhr ich fort, dass die Glaubwürdigkeit des gesamten Radsports auf dem Spiel stehe und dass ich zu einer Art Blitzableiter geworden sei. »Der Profiradsport wird unter die Lupe genommen. Aber ich habe eine Antwort, und mit dieser Antwort geht es mir gut«, sagte ich. Ich fände es, meinte ich, nur traurig, dass die Tour zu einer von Misstrauen und Unterstellungen verpesteten Veranstaltung verkommen sei.
    »Es handelt sich um ein Rennen und sollte nicht zu einer Gerichtsverhandlung werden«, konstatierte ich.
    Schließlich erhob ich mich und sagte, was zu sagen mir noch geblieben war: »Ich verlasse diesen Raum als ein ehrbarer Mann, ein glücklicher Mann und hoffentlich auch als Sieger.« Damit ging ich hinaus.
    »Das habe ich gebraucht«, sagte ich zu Bill auf dem Weg nach draußen.
    Auf dem restlichen Weg nach Paris gab es keine Angriffe mehr, weder auf der Straße noch sonst wo. Wir fuhren und waren glücklich damit, den Ausblick zu genießen, den Ausblick auf endlose Felder voller Sonnenblumen und Sonnenblumen und Sonnenblumen.
    Als wir die Ziellinie auf den Champs-Élysées passierten, hatten wir 3464 Kilometer hinter uns gebracht – in, um genau zu sein, 86 Stunden, 17 Minuten und 28 Sekunden. Dieser Sieg erfüllte mich mit tiefer Befriedigung, weil wir die Tour mit Taktik und Stärke gewonnen hatten und weil unser Postal-Team zu einem besseren und reiferen Team herangewachsen war.
    Ullrichs sportlicher Leiter Rudy Pevenage machte uns ein eigenartiges Kompliment. »Wir warteten die ganze Zeit darauf, dass Armstrong mal einen schlechten Tag haben würde«, sagte er. »Aber der einzige schlechte Tag, den er hatte, war der Tag mit dem Kater, den er am Morgen nach der Zielankunft in Paris hatte.«
    Zwischen Training und Wettrennen besteht eine klare, direkte Beziehung: Ich hatte hart gearbeitet und gewonnen. Ein Radrennen ist eine simple Angelegenheit. Hier der Start, da das Ziel, und ein Ausgang, der von Talent und Stärke bestimmt wird. Entweder du gewinnst, oder du verlierst, und an dieser Klarheit ist etwas Tröstliches. Was sonst kann man darüber sagen?
    Nichts – insbesondere nicht nach dem 11. September.
    Ich flog zurück in die Staaten und blieb ein paar Tage in New York. Am Nachmittag verschwand ich für ein paar Stunden: Niemand konnte mich finden – bis ich irgendwann wieder ins Hotel zurückkehrte.
    Ich war im Central Park gewesen – Rad fahren.
    Ich liebe New York. New York ist eine magische Stadt, und eine Stadt, die immer gut zu mir gewesen ist. Da ich auf dem Weg nach Europa und zurück ständig hier durchkam, kannte ich New York inzwischen ziemlich gut. Zu Fuß oder auf dem Rad die Stadt zu erkunden war wie eine Art Hindernisparcours und für mich jedes Mal ein Erfolgserlebnis. Wenn man einmal gelernt hat, New York zu lieben, liebt man die Stadt mehr – und auf andere Weise – als andere Städte oder Orte.
    Es heißt, der 11. September traf jeden, und so war es auch. Aber er traf zuerst und vor allem und am schlimmsten die New Yorker.
    An dem Morgen, als es passierte, war ich zu Hause in Austin, einer von vielen Vätern, der mit seinem kleinen Sohn Sesamstraße im Fernsehen ansah. Das Telefon klingelte. Ich nahm ab. Bill Stapelton war dran und sagte: »Schalt mal die Nachrichten ein.« Ich wechselte auf einen Nachrichtensender – und wollte meinenAugen nicht trauen. Ich saß einfach da, vollkommen hilflos, und starrte auf diese schreckliche Lücke in der Sykline der Stadt.
    Einige Tage später rief mich das Rote Kreuz an. Ob ich nicht nach New York kommen könnte, um die Moral der Feuerwehrmänner und Rettungsarbeiter ein bisschen zu heben, ihnen ein bisschen für ihren Einsatz zu danken? Ich sagte sofort zu. Ich war mir zwar nicht sicher, ob eine Goodwilltour von mir ihnen so viel bedeuten würde, aber ich hasste es, einfach dazusitzen und von daheim in Texas aus zuzuschauen, und mit dem Besuch hätte ich zumindest die Chance, ein bisschen zu helfen. Okay, sagte ich, ich komme, aber ohne große Vorankündigung und vor allem: ohne Presse.
    Ich bat Bart Knaggs, mich zu begleiten, und zusammen flogen wir am Abend des 20. September nach New York. Da alle großen Flughäfen noch gesperrt waren, landeten wir auf einem Privatflugplatz in White Plains. Ich erinnere mich noch, dass, als wir über die Stadt flogen, in der Bordanlage des Flugzeugs gerade »Back in Black« von AC/DC lief und dass es mir dem Anlass angemessen

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