Jeden Tag, Jede Stunde
man hat Verantwortung sich selbst gegenüber.« Dora ist eigentlich nicht nach Reden. Sie spürt, dass etwas hier nicht stimmt. Es hört sich zwar richtig an, oder zumindest fast, aber etwas stimmt nicht. Sie will aufstehen und verschwinden. Und bleibt sitzen.
»Es hat nichts gebracht. Niemandem. Antica hat sich umgebracht, Luka hat zuerst sich selbst und dann die anderen verlassen, Ana ist zu früh, allzu früh erwachsen geworden. Ich war allein und einsam. Alles hätte anders kommen sollen. Ich hätte mich mehr bemühen sollen. Man muss sich mehr anstrengen. Nicht gleich aufgeben.«
Darauf weiß Dora prompt die Antwort: »Wenn es etwas ist, das die Anstrengung und Mühe wert ist. Absolut.« Mit Nachdruck spricht sie die Worte. Mit so viel Leidenschaft, dass Zoran ihre Augen aufsucht und traurig nickt.
»Wenn man das alles immer so ganz genau wüsste!« Es klingt beinahe verzweifelt. Und Dora weiß plötzlich ganz genau, worum es hier geht und was sie sagen muss.
»Luka und ich, wir sind jegliche Anstrengung wert. Wir gehören zusammen.« Und damit ist alles gesagt. Doras Meinung nach.
»Nimm es mir nicht übel, Kind, aber ich glaube, alles sollte so bleiben, wie es ist. Du hast dein Leben, Luka seins. Alles andere wäre zu kompliziert.« Zoran spricht leise, seine Stimme ist gedämpft, als würde er sich seiner Worte schämen. Nur ein wenig, aber immerhin.
»Hier geht es nicht um einfach oder kompliziert. Es geht um zwei seelenverwandte Menschen.« Selbstsicher und entschlossen ist Dora.
»Seelenverwandt. Ein schönes Wort. Gibt es denn so was überhaupt?«
»Sehen Sie sich Luka und mich an. Wir sind die Antwort auf diese Frage.«
»Das ist so kompliziert. Ich glaube, einfach ist besser.« Pause. »Sei mir nicht böse.«
»Zoran, nichts ist hier einfach, und es wäre es auch nicht, wenn ich verschwinden würde. Dann erst recht nicht. Diese Frau erpresst ihn. Sie droht ihm damit, dass er seine Tochter nie mehr sehen darf. Als könnte sie es ihm verbieten, als wäre sie diejenige, die darüber entscheidet.« Sie knabbert an ihrer Unterlippe und ihre Augen werden ganz schmal, zu zwei kaum sichtbaren Schlitzen. Böse ist sie. Bereit, auf die Barrikaden zu gehen. »Ist das ›einfach‹ genug für Sie? Wollen Sie tatsächlich, dass Ihr Sohn mit so einer Frau sein Leben verbringt?«
Zoran macht keine Anstalten, etwas zu sagen. Sein Kopf hängt, wie nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag. Als hätte es mehrfache Doppelbuchungen gegeben, und er müsste für Dutzende von Gästen in anderen Hotels nach Unterkünften suchen. Er klammert sich abwechselnd am Bierglas und an der Flasche fest. Ohne etwas zu trinken.
Dora steht langsam auf. Auf einmal ganz ruhig. Fast regungslos. Als hätte sie aufgegeben, oder als wäre ihr schlagartig alles egal. Oder aber als hätte sie gewonnen. Sie sieht Zoran an. Teilnahmslos. Sehr sachlich. Sie hat nichts zu verlieren. Also kann sie sich erlauben, zu sagen, er tue ihr leid. Und dann geht sie. Quer über die Terrasse und ein paar Treppen hinunter, zur Strandpromenade. Vor ihr schimmert Donja luka in der heißen Mittagssonne. Dann nur geradeaus, am gelben Haus vorbei, auf den Leuchtturm zu. Dann links, die steinige Küste entlang. Zum Felsen.
28
Luka wacht ruckartig auf. Er weiß nicht sofort, wo er ist. Er hat geträumt. Nichts Angenehmes. Und er ist völlig durchgeschwitzt. Es müssen vierzig Grad im Zimmer sein. Dora schläft neben ihm. Er betrachtet sie liebevoll. Und neugierig. Immer noch neugierig. Alles an ihr überrascht ihn immer wieder. Das, was er kennt, liebt er. In das, was er noch nicht kennt, verliebt er sich gleich. Aber alles, absolut alles ist ihm vertraut, wie schon einmal erlebt. Oder mehrmals. Luka ist unersättlich, wenn es um Dora geht.
Er versucht aufzustehen, ohne sie zu wecken. Das Bett quietscht aber. Dora murmelt unverständlich in die Falten des Lakens. Luka schleicht sich ins Badezimmer und macht die Tür hinter sich zu. Er würde gerne duschen, will aber nicht zu viel Lärm machen. Außerdem wird es besser sein, mit Dora zusammen zu duschen. Also geht er auf Zehenspitzen auf den Balkon, in der Hoffnung, eine erfrischende Brise zu erwischen. Keine Chance. Kein maestral an diesem späten Nachmittag. Das Meer ist ruhig, ölig sogar. Keine Bewegung, nirgendwo. Alles steht und wartet.
»Luka!« Dora ruft ihn sanft.
In einem Satz ist er bei ihr, was keine Kunst ist in diesem kleinen Hotelzimmer. Hier treffen sie sich, wann immer es unbesetzt ist,
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