Jeden Tag, Jede Stunde
schweigt. Dora lädt sie nicht ins Haus ein. Sie wartet einfach auf Anas weitere Worte. Und überhaupt. Abwarten ist gut, wenn Unklarheit besteht.
Minuten vergehen. Sie sehen sich nur an.
»Ich muss mit dir reden.«
»Gerne.«
»Ich will, dass du wieder weggehst. Dorthin, wo du hergekommen bist.«
Dora sagt nichts, wartet. Ein wenig überrascht ist sie aber schon.
»Luka hat eine Familie. Eine Tochter. Er kann dich nicht brauchen. Lass ihn. Er könnte mit den beiden glücklich sein, du musst ihn nur in Ruhe lassen.«
Dora überlegt, sie widerspricht aber nicht. Mit jedem Wort, das Ana jetzt immer schneller hervorbringt, als hätte sie das Versteck endlich gefunden, kommt sie immer mehr durcheinander.
»Er mag Klara, sie sind schon so lange zusammen, sie kennen sich schon eine Ewigkeit, sie haben viel miteinander erlebt und durchgemacht. Klara hat schon ein Kind von ihm verloren, sie haben eine Vergangenheit. Sie war immer für ihn da, sie hat ihn nie verlassen, ist nie weggezogen, hat ihn nie vergessen, nie und nimmer, hat immer nach ihm gefragt, hat sich nicht geschämt oder so, nein, auf sie ist Verlass. Während du sowieso wieder verschwinden wirst, ohne ein Wort, du wirst ihn verlassen und ihm wieder wehtun, und ich werde mich wieder um alles kümmern müssen, um ihn und seine Familie, du wirst dir gar nichts dabei denken, einfach weg, um Schauspielerin zu werden; wie ich höre, bist du tatsächlich eine geworden, gratuliere, dann hast du, was du immer wolltest, deine Fotos in den Zeitschriften, was suchst du noch hier, keiner will dich hier haben …«
Dora macht einen Schritt nach vorne, will sie in die Arme nehmen, denn Ana ist höchstens drei, vier Jahre alt in diesem Augenblick, und Dora versteht sie und weiß, wie es für sie war, als alle dann weg waren, Vater, Mutter, Bruder, und Dora war auch weg, sie ist als Erste gegangen. Also will sie Ana umarmen und sich entschuldigen, aber Ana überrascht sie und sich selbst, indem sie Dora eine Ohrfeige gibt.
Dora hält sich die Wange, und Ana starrt sie an.
»Es tut mir leid. Bitte entschuldige.« Und dann rennt Ana davon, wie eine Katze vor dem bösen Hund.
Dora will ihr zuerst nachlaufen, dann fällt ihr ein, dass eine kleine Gruppe Touristen aus Belgien auf sie wartet, damit sie sie durch die Restaurantlandschaft von Makarska führt.
Sie reibt sich die brennende Wange und betritt das Haus. Oben auf der Treppe steht Tante Marija und schüttelt den Kopf. Dorice moja, liebes Kind, sagt sie klagend. Was soll daraus werden, fragen ihre besorgten Augen, wohin soll das Ganze führen? Marija hat nicht viel Ahnung von diesen Sachen, sie war nie verlobt oder verheiratet, hat sich um die Eltern gekümmert und gebacken und gedacht, das war schon alles. Die einzige Unsicherheit in ihrem Dasein war die Frage, ob die Hefe aufgeht oder nicht. Das Leben soll so einfach sein, denkt Marija. Und dann das. Dora. Ihre kleine Dora.
Um Mitternacht verabschiedet Dora sich von ihren Gästen vor dem Hotel Meteor, dem neusten und größten in der Stadt, es wird viel umarmt und geküsst, und Dora geht langsam Richtung Hotel Park, wo Luka Nachtschicht hat. Sie folgt der Strandpromenade in der Bucht Donja luka. Sie eilt nicht. Ihre Schritte sind vorsichtig, als hätte sie zu viel getrunken, was sie natürlich nicht getan hat. Sie beobachtet ihre Zehen in den Sandalen und denkt nach. Und erschrickt, als noch ein Paar Frauenfüße in ihr Blickfeld treten. Ana.
Ana sieht müde aus. Als hätte sie schon geschlafen und wäre von jemandem aufgeweckt und gewaltsam hergeschleppt worden.
»Ich muss mit dir reden.«
»Ist das dein Euphemismus für Ohrfeigen?«
»Es tut mir leid. Wirklich.«
Dora erwidert nichts. Wie gesagt, sie denkt nach. Und es ist ziemlich spät. Und Luka wartet auf sie. Obwohl diese Unterhaltung schon längst fällig war und interessant werden könnte.
»Ich weiß nicht, warum ich das getan habe.«
»Womöglich warst du wütend.«
»Vielleicht, aber ich habe kein Recht dazu. Eigentlich.«
Dora sagt nicht, was sie denkt, was ihrer Meinung nach Ana so zornig gemacht hat. Wie schon gesagt, es ist spät. Und Luka wartet auf sie.
»Ich kann mich nicht so gut an dich erinnern, aber das Gefühl ist geblieben. Und das Tabu deines Namens.« Ana lächelt verlegen. Dora lächelt auch. Sie versteht es. Sie hatte auch ihre Tabus. Sechzehn Jahre lang.
»Und was jetzt?«
»Was hast du vor, das ist die Frage.« Ana sieht Dora müde und erwartungsvoll an.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher