Jeden Tag, Jede Stunde
Kopf ein Sessel. Es ist kein Hotelzimmer. Das ist klar. Und er weiß auch schon, wo er ist. Er liegt auf dem Sofa in seinem Wohnzimmer und spürt immer noch eine Hand auf seinem Rücken. Sie wandert. Vorsichtig. Dora ist es nicht. Kann es nicht sein. Er springt von der Couch. Er steht da in der Unterhose, während Klara noch über der Sofarückenlehne gebeugt ist und ihn ansieht. Luka erkennt diesen Blick, auch wenn er ihn schon lange nicht mehr gesehen, nicht wahrgenommen hat. Sie hat ein durchsichtiges rotes Nachthemd an, und darunter kann Luka ganz deutlich ihren von der Schwangerschaft noch ein wenig schweren Körper sehen. Er wendet den Blick von ihr ab. Sie richtet sich auf und sagt leise »Luka«. Ihre Stimme ist heiser, sie ist voller Vergangenheit, Luka kann sie erkennen. Aber er hat kein Interesse. Er ist eher verschreckt als wütend. »Luka«, sagt sie und kommt näher. Aber Luka streckt eine Hand vor sich, wie um sich zu schützen, sie aufzuhalten. »Du bist doch mein Mann, Luka«, spricht sie sanft, die Lippen kaum bewegend. Luka macht einen Schritt nach hinten, sein Arm immer noch ausgestreckt. Dann noch einen. Er schüttelt den Kopf. Er will nicht. Er will sie nicht. Er will sie auch nicht demütigen. Aber sie lässt sich nicht aufhalten. »Klara, lass es!« Nichts passiert, sie steht schon vor ihm, seine Hand ist kraftlos, sie lehnt ihren Körper an seinen und ihm wird schwindlig vor Übelkeit, er macht noch einen Schritt zurück, sagt: »Nein, Klara, nein, ich will nicht!« Aber ihre Hände sind auf seinen Schultern, ihr Mund ruht an seiner Brust, »Nein, Klara, nein!« Aber sie macht weiter. »Du bist mein Mann, ich liebe dich, ich will dich«, und ihr Körper ist jetzt ganz schwer an seinem und er weiß, dass er sich sofort übergeben muss. Er hat Angst, das Bewusstsein zu verlieren. »Nein!«, schreit er, und es kümmert ihn nicht, ob jemand ihn hört und wach wird, er hat das Gefühl, um sein Leben kämpfen zu müssen. Also stößt er sie mit aller Kraft von sich und sie fliegt durch das Zimmer, verfehlt knapp den kleinen Kaffeetisch und landet auf dem Teppich vor dem Sofa. Sie bewegt sich nicht. Sie bleibt einfach so da liegen. Luka lauscht angestrengt. Es ist dunkel im Zimmer, es ist noch Nacht. Nichts bewegt sich. Er hat es getan! Dann hört er ein leises Winseln, ein Geräusch, das er normalerweise nur mit Tieren verbindet. Luka geht auf Klara zu. »Klara, steh auf«, sagt er, aber nichts bewegt sich, keine Antwort bekommt er. Er betrachtet sie, wie sie auf dem Boden liegt. Ihr Nachthemd ist hochgerutscht, er kann ihre Beine und ihren nackten Hintern sehen. Er fühlt nichts. Er ist wie tot. Das Gefühl der Demütigung ergreift langsam Besitz von ihm, und er eilt ins Badezimmer. Er lässt den Kopf über dem Waschbecken hängen, er kann keine Begegnung mit seinem Spiegelbild riskieren. Er trinkt Leitungswasser. Er kann gar nicht aufhören. Dann hört er doch auf, weil er keine Luft mehr bekommt, lässt aber das Wasser laufen. Er stützt sich auf den Waschbeckenrand und schüttelt vehement den Kopf, als würde er ihn von den Bildern von vorhin befreien wollen. Ein für alle Mal.
Für immer und ewig. Dora.
Er weiß nicht, wie lange er im Badezimmer eingeschlossen war. Als er die Tür aufmacht und leise das Wohnzimmer betritt, ist es leer. Und es ist hell. Luka zieht sich schnell und geräuschlos an und verlässt die Wohnung. Er hat nur einen Gedanken: Dora.
29
Anfang September ist es dann so weit.
Es ist ein frischer, sonniger Morgen. Dora begleitet heute eine Gruppe französischer Gäste nach Split, es ist ein Tagesausflug. Um neun Uhr soll sie im Hafen sein, da wird der Bus auf sie warten. Davor will sie noch in der Bäckerei für Tante Marija und sich selbst frische Brötchen besorgen, heute wollen sie zusammen frühstücken, das kommt nicht oft vor.
Noch ein wenig verschlafen öffnet sie die Haustür. Und da steht Klara. Dora weiß es gleich. Es kann nur Klara sein. Denn wenn überall an Dora geschrieben steht, dass sie die Frau ist, die Luka liebt, so steht überall an dieser Frau geschrieben, dass sie Lukas Ehefrau ist. Sogar der Ring auf ihrem Finger trägt seinen Namen.
Dora bleibt einen Moment stehen, dann will sie weitergehen. Sie hat dieser Frau nichts zu sagen.
»Ich will, dass Sie gehen. Dass Sie Makarska verlassen und meinen Mann in Ruhe lassen.«
Dora hält an. Sie überlegt kurz. Dann dreht sie sich um, richtet sich vor Klara auf. Sie sind ungefähr gleich groß. Aber
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