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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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fehlte ihm denn? Er schlief genug, er aß mit Appetit, es ging ihm nichts ab, aber er arbeitete nicht!
    Einmal riß ihr die Geduld, und sie sagte gereizt: «Wenn du nur nicht immer dieselbe Melodie pfeifen wolltest, En-no! Seit sechs, acht Stunden pfeifst du schon: Kleine Mädchen müssen schlafen gehn .»
    Er lachte verlegen. «Stört dich meine Pfeife? Na, ich kann auch anders. Soll ich dir mal das Horst-Wessel-Lied pfeifen?» Und er fing an: Die Fahne hoch! Die Reihen fest geschlossen .
    Ohne ein Wort ging sie in den Laden zurück. Diesmal hatte er sie nicht nur irritiert, diesmal war sie ernstlich verletzt.
    Aber das verging wieder. Sie war nicht nachtragend, und außerdem hatte auch er gemerkt, daß er etwas falsch gemacht hatte, und hatte ihr als Überraschung eine neue Lampe über dem Bett zurechtgebastelt. Ja, so was konnte er auch; wenn er wollte, war er geschickt genug, aber meist wollte er nicht.
    Übrigens gingen diese Tage seiner Verbannung in die Stube rasch vorüber. Frau Hete hatte sich bald davon überzeugt, daß wirklich kein Spitzel um das Haus herumstrich, und Enno konnte wieder im Laden helfen. Auf die Straße freilich durfte er vorläufig überhaupt nicht, immer konnte ihn ein Bekannter sehen. Aber im Laden helfen, das konnte er, und da erwies er sich nun wieder recht nützlich und geschickt. Sie sah bald, daß ihn eine längere Zeit gleichförmig hintereinander ausgeführte Arbeit rasch ermüdete, so gab sie ihm jetzt dies, dann das zu tun.
    Bald ließ sie ihn auch bei der Kundenbedienung helfen.
    Er wurde gut mit der Kundschaft fertig, er war höflich, schlagfertig, manchmal sogar auf eine schlafmützige Art witzig.
    «Mit dem Herrn haben Sie aber einen guten Griff getan, Frau Häberle», sagten alte Kunden. «Wohl was Verwandtes?»
    «Ja, ein Vetter von mir», log Frau Hete und war glücklich über dies Enno gespendete Lob.
    Eines Tages sagte sie zu ihm: «Enno, ich möchte heute nach Dahlem fahren. Du weißt doch, die Tierhandlung von Löbe macht zu, weil er zur Wehrmacht muß. Ich kann seine Bestände kaufen. Er hat sehr viel liegen, es würde eine große Hilfe für uns sein, wo die Ware immer knapper wird. Glaubst du, daß du mit dem Laden fertig wirst?»
    «Aber selbstredend, Hete, selbstredend! So was erledige ich doch spielend. Wie lange willst du denn fortbleiben?» «Na, ich würde gleich nach dem Mittagessen fahren, aber ich glaube nicht, daß ich bis Ladenschluß zurück sein werde. Ich möchte dann auch gleich bei meiner Schneiderin rangehen ...»
    «Tu das, Hete. Von mir aus hast du Urlaub bis Mitternacht. Um den Laden hier mach dir keine Sorgen, den erledige ich dir prima.»
    Er setzte sie noch in die U-Bahn. Es war Mittagspause, der Laden war geschlossen.
    Sie lächelte vor sich hin, als der Wagen schon fuhr. Das Leben zu zweien war doch ein ander Leben! Es war schön, wenn man so gemeinsam arbeitete. Dann erst hatte man abends das richtige Gefühl von Befriedigung. Und er gab sich Mühe, entschieden gab er sich Mühe, es ihr recht zu machen. Er tat, was er konnte. Sicher war er kein energischer oder auch nur fleißiger Mensch, sie gestand es sich ein. Wenn er zu viel hatte laufen müssen, zog er sich gerne einmal in die Stube zurück, der Laden mochte noch so voll stehen, er überließ ihr die Kundschaft allein. Oder sie fand ihn nach langem vergeblichem Rufen im Keller, wie er auf dem Rand der Sandkiste saß und vor sich hin döste; das halb mit Sand gefüllte Eimerchen stand vor ihm - und sie wartete schon zehn Minuten darauf!
    Er fuhr zusammen, wenn sie ihn ein wenig scharf anrief: «Enno, wo bleibst du bloß? Ich warte mir die Seele aus dem Leibe!»
    Wie ein erschrockener Schuljunge sprang er auf. «Ein bißchen eingedöst», murmelte er verlegen und fing langsam zu schippen an. «Komme gleich, Frau Chefin, soll auch nicht wieder passieren.»
    Mit solchen kleinen Scherzen versuchte er dann, sie zu versöhnen.
    Nein, in keiner Hinsicht ein großes Kirchenlicht, dieser Enno, soweit sah sie jetzt schon klar, aber er tat, was er konnte. Und dabei gut zu leiden, höflich, umgänglich, anschmiegsam, ohne ersichtliche Laster. Daß er ein bißchen sehr viel Zigaretten rauchte, das sah sie ihm nach. Sie rauchte selber gerne mal eine, wenn sie abgespannt war .
    Mit ihren Besorgungen aber hatte Frau Hete an diesem Tage Pech. Das Geschäft von Löbe in Dahlem war geschlossen, als sie hinkam, man konnte ihr auch nicht sagen, wann Herr Löbe zurückkam. Nein, eingezogen war er noch

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