Jeder stirbt für sich allein
Gasflamme unter der Pfanne. Plötzlich kann sie auf diese Aussprache nicht mehr warten. Sie geht in die Stube, lehnt sich mit dem Rücken, dunkel und massig, gegen den Ofen und fragt in einem fast drohenden Tone: «Nun?»
Er hat am Tisch gesessen, dem Abendbrottisch, den er für sie beide gedeckt hatte, vor sich hin flötend, nach seiner Gewohnheit.
Bei diesem drohenden «Nun?» fährt er zusammen, er steht auf und sieht zu der dunklen Gestalt hinüber.
«Ja, Hete?» sagt er. «Gibt's bald Abendessen? Ich hab
mächtigen Kohldampf.»
Sie möchte ihn vor Wut schlagen, diesen Mann, der glaubt, sie ist bereit, einen solchen Verrat totzuschwei-gen! Der fühlt sich ja schon sehr sicher, dieser Herr, weil er mit ihr in einem Bett geschlafen hat! Sie ist von einem ganz ungewohnten Zorn erfaßt, am liebsten würde sie den Kerl schütteln und schlagen, noch einmal und noch einmal.
Aber sie bezwingt sich und wiederholt ihr «Nun?» nur noch drohender.
«Ach so!» sagt er. «Du meinst das mit dem Geld, Hete.»
Er greift in die Tasche und zieht einen Haufen Scheine hervor. «Da, Hete, das sind 210 Mark, und ich hatte 92
Mark aus der Kasse genommen.» Er lacht ein bißchen verlegen. «Damit ich doch auch etwas zur Wirtschaft beisteuere!»
«Und wie kommst du zu dem vielen Geld?»
«Heute nachmittag war das große Traberrennen in Karlshorst. Ich bin grade noch rechtzeitig gekommen, um Adebar zu setzen. Adebar, Sieg. Ich wett nämlich gerne auf Pferde. Ich verstehe ziemlich viel von Rennen, Hete.»
Er sagt das mit einem bei ihm ganz ungewohnten Stolz.
«Nicht die ganzen 92, nur 50 Mark habe ich gesetzt. Die Quote war ...»
«Und was hättest du getan, wenn das Pferd nicht gewonnen hätte?»
«Aber Adebar mußte gewinnen - da gab's gar nichts anderes!»
«Und wenn er doch nicht gewonnen hätte?»
Jetzt ist er es einmal, der sich der Frau überlegen fühlt.
Er lächelt, als er sagt: «Sieh mal, Hete, du verstehst nichts vom Rennsport, ich verstehe aber alles davon. Und wenn ich sage: Adebar gewinnt und riskiere sogar 50 Mark darauf .»
Sie unterbricht ihn. Sie sagt scharf: «Du hast mein Geld riskiert! Das will ich nicht haben! Wenn du Geld brauchst, sagst du es, du sollst bei mir nicht nur für die Kost arbeiten müssen. Aber ohne meine Erlaubnis nimmst du kein Geld aus der Kasse, verstanden?»
Bei diesem ungewohnt scharfen Ton ist er wieder völlig unsicher geworden. Er sagt klagend (und sie weiß, gleich wird er losweinen, und sie fürchtet sich schon vor diesen Tränen), er sagt also klagend: «Aber wie redest du denn mit mir, Hete? Als ob ich nur dein Arbeiter wäre! Natürlich nehme ich nicht wieder Geld aus der Kasse. Ich dachte
bloß, ich würde dir eine Freude machen, wenn ich so schön Geld verdiene. Wo der Sieg doch auch ganz sicher war!»
Sie geht gar nicht auf dieses Geschwätz ein. Das Geld war ihr ja immer Nebensache, das Wichtige war das enttäuschte Vertrauen. Er denkt jetzt, sie ist bloß wegen des Geldes ärgerlich, so ein Schwachkopf! Sie sagt: «Und wegen dieser Pferdewetterei hast du also einfach den Laden zugemacht?»
«Ja», sagt er. «Du hättest ihn doch auch zumachen müssen, wenn ich nicht dagewesen wäre!»
«Und daß du ihn zumachen wolltest, das hast du schon gewußt, als ich fortging?»
«Ja», sagt er ganz dumm. Und verbessert sich rasch:
«Nein, natürlich nicht, sonst hätte ich dich um Erlaubnis gebeten. Es ist mir erst eingefallen, als ich bei dem kleinen Laden von dem Buchmacher vorbeikam, in der Neuen Königstraße, weißt du. Da las ich im Vorbeigehen die Tips, und als ich da als Außenseiter Adebar las, da habe ich mich erst entschlossen.»
«So!» sagt sie. Sie glaubt ihm nicht. Das hat er schon vorher vorgehabt, ehe er sie in die U-Bahn setzte. Ihr ist eingefallen, daß er heute früh so lange mit der Zeitung herumgeknistert und dann lange auf einem Zettel gerechnet hat, immer noch, als schon die ersten Kunden im Laden
waren. «So!» sagte sie noch einmal. «Und du gehst also einfach in der Stadt spazieren, wo wir doch ausgemacht haben, du läßt dich wegen der Gestapo möglichst nicht draußen sehen?»
«Du hast doch auch erlaubt, daß ich dich bis an die U-Bahn bringe!»
«Da waren wir zusammen. Und ich hatte ausdrücklich gesagt, es sollte ein Versuch sein! Das heißt noch nicht, daß du den halben Tag in der Stadt herumläufst. Wo bist du denn gewesen?»
«Ach, nur in so 'nem kleinen Lokal, das ich von früher kenne. Da kommt nie einer von der Gestapo hin,
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