Jeder stirbt für sich allein
da verkehren nur Buchmacher und Rennwetter.»
«Die dich alle kennen! Die alle überall erzählen können: Wir haben den Enno Kluge da und dort gesehen!»
«Aber die Gestapo weiß doch auch, daß ich irgendwo sein muß. Nur wo, weiß sie nicht. Das Lokal ist sehr weit ab von hier, auf dem Wedding. Und ein Bekannter war nicht dort, der mich verpfeifen könnte!»
Er redet ganz eifrig und gutherzig; wenn man auf ihn hört, ist er vollkommen in seinem Recht. Er versteht gar nicht, wie sehr er ihr Vertrauen enttäuscht hat, was für einen Kampf sie seinetwegen mit sich kämpft. Geld genommen -um ihr eine Freude zu machen. Das Geschäft geschlossen
- hätte sie ja auch getan. In ein Lokal gegangen - war ja weit weg am Wedding. Daß sie sich aber um ihre Liebe geängstigt hatte, davon verstand er gar nichts, das ging nicht in seinen Schädel hinein.
«Also, Enno», fragt sie, «das ist alles, was du dazu zu sagen hast? Oder?»
«Ja, was soll ich denn noch sagen, Hete? Ich seh ja, du bist mächtig unzufrieden mit mir, aber ich finde wirklich nicht, daß ich so viel falsch gemacht habe!» Nun kamen sie doch, die gefürchteten Tränen. «Ach, Hete, sei doch bloß wieder gut zu mir! Ich will dich auch gewiß vorher nach allem fragen! Sei bloß wieder lieb zu mir. So halte ich es nicht aus ...»
Aber diesmal verfingen weder Tränen noch Bitten. Etwas klang falsch darin. Es ekelte sie beinahe vor dem weinenden Manne.
«Das muß ich mir alles erst gut überlegen, Enno», sagte sie voll Abwehr. «Du scheinst gar nicht zu verstehen, wie schwer du mein Vertrauen enttäuscht hast.»
Und sie ging an ihm vorbei in die Küche, die Kartoffeln weiterzubraten. Da hatte sie also diese Aussprache gehabt.
Und was hatte sie gebracht? Hatte sie die Verhältnisse geklärt, eine Entscheidung erleichtert?
Nichts von alledem! Sie hatte ihr nur gezeigt, daß dieser Mann gar kein Gefühl dafür hatte, wenn er schuldig geworden war. Daß er besinnungslos log, wenn die Lage das zu erfordern schien, wobei es ihm gar nicht darauf ankam, wen er anlog.
Nein, solch ein Mann war nicht der richtige Mann für sie. Sie mußte mit ihm zum Schluß kommen. Freilich, eines war klar, heute abend konnte sie ihn nicht mehr auf die Straße setzen. Er wußte ja gar nicht, was er verbrochen hatte. Er war wie ein junger Hund, der ein Paar Schuhe zerbissen hat und keine Ahnung besitzt, warum sein Herr ihn eigentlich verprügelt.
Nein, ein oder zwei Tage mußte sie ihm schon Zeit lassen, ein neues Quartier zu suchen. Wenn er dabei der Gestapo in die Hände fällt - sie muß es darauf ankommen lassen. Er läßt es ja auch darauf ankommen - wegen einer Rennwette! Nein, sie muß sich von ihm frei machen, sie kann nie wieder Vertrauen zu ihm finden. Allein muß sie für sich leben, von nun an bis zu ihrem Tode! Und bei diesem Gedanken wird ihr angst.
Aber trotz dieser Angst sagt sie nach dem Abendessen zu ihm: «Ich habe mir alles überlegt, Enno, wir müssen uns trennen. Du bist ein netter Mann, du bist auch ein lieber Mann, aber du siehst die Welt zu sehr mit andern Augen an, auf die Dauer könnten wir uns nicht vertragen.»
Er blickt starr auf sie, die wie zur Bekräftigung ihrer Worte ihm das Bett auf dem Sofa richtet. Er will erst seinen Ohren nicht trauen, und dann wimmert er los: «O
Gott, Hete, das kannst du nicht wirklich meinen! Wo wir beide uns doch so liebhaben! Das kannst du nicht wollen, mich auf die Straße und der Gestapo in die Arme zu jagen!»
«Ach!» sagt sie und will sich durch die eigenen Worte beruhigen. «Das mit der Gestapo wird auch nur halb so schlimm sein, sonst wärst du heute nicht den halben Tag in der Stadt herumgelaufen!»
Aber er bricht in die Knie. Wahrhaftig, er rutscht auf den Knien zu ihr hin. Die Furcht hat ihn ganz besinnungslos gemacht. «Hete! Hete!» schreit und schluchzt er. «Du willst mich doch nicht töten? Du mußt mich hier-behalten! Wo soll ich denn hin? Ach, Hete, hab mich doch ein bißchen lieb, ich bin ja so unglücklich ...»
Heulen und Geschrei, ein kleiner, vor Angst winselnder Hund!
Er will ihre Beine umklammern, er faßt nach ihren Händen. Sie flieht vor ihm in ihr Schlafzimmer, sie riegelt sich ein. Aber die ganze Nacht hört sie ihn immer wieder gegen die Tür stoßen, die Klinke probieren, wimmern und betteln ...
Sie liegt ganz still. Sie sammelt in sich alle Kraft, nicht nachzugeben, sich nicht weichmachen zu lassen von ihrem eigenen Herzen und dem Gebettel da draußen! Sie bleibt fest bei ihrem
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