Jeder stirbt für sich allein
Spur gewissermaßen - und er konnte dem Prall doch zeigen, daß er etwas tat, nicht nur wartete. Darauf kam es den Herren oben allein an, daß etwas getan wurde, mochte es auch das Falsche sein, wie ja der ganze Fall Kluge falsch war. Aber Warten vertrugen die Herren nicht.
Die Erkundigungen bei der Hebekreuz verliefen erfolglos. Sie hatte den Kluge in einem Café kennengelernt, sie kannte auch seine Arbeitsstelle. Er hatte zweimal einige Wochen bei ihr logiert, jawohl, das war richtig, sie hatte ihm wegen Geld und Lebensmittelkarten geschrieben.
Aber das hatte er bei seinem zweiten Besuch aufgeklärt, die hatte ein anderer Untermieter geklaut, nicht der Enno.
Dann war er wieder abgehauen, ohne ihr was zu sagen, wohl zu irgendeinem Weib, das war so Ennos Art. Nein, sie hatte natürlich nie etwas mit ihm gehabt. Nein, sie hatte keine Ahnung, wohin er gezogen war. Aber hier in dieser Gegend war er bestimmt nicht, sonst hätte sie längst mal von ihm gehört.
In den beiden Kneipen war er bekannt unter dem Namen Enno, jawohl. Er hatte sich lange nicht sehen lassen, nein, aber er kam immer mal wieder. Jawohl, Herr Kommissar, wir lassen uns nichts merken. Wir sind solide Kneipiers, bei uns verkehren nur anständige Leute, die Interesse für den edlen Rennsport haben. Wir werden Ihnen sofort einen Wink geben, wenn er wieder auftaucht. Heil Hitler, Herr Kommissar!
Kommissar Escherich setzte zehn Leute an, die bei allen Buchmachern und Kneipiers im Norden und Osten Berlins Nachfrage nach Enno Kluge halten sollten. Und während Escherich das Ergebnis dieser Aktion abwartete, geschah ihm das zweite Merkwürdige: plötzlich schien es ihm nicht mehr ganz ausgeschlossen, daß dieser Enno Kluge doch etwas mit den Karten zu tun hatte. Zu merkwürdige Zusammenhänge geisterten um diesen Burschen: die beim Arzt gefundene Karte, und dann die Ehefrau, erst Nazistin, und plötzlich dieser Antrag, aus der Partei austreten zu dürfen, vermutlich, weil der Sohn in der SS etwas getan hatte, was der Mutter nicht gefiel. Vielleicht war der Enno Kluge viel geriebener, als der Kommissar gedacht hatte, vielleicht hatte er auch andern Dreck am Stecken als diese Karte, aber Dreck hatte er zu verschar-ren, das schien fast sicher.
Dies bestätigte auch der Assistent Schröder, mit dem der Kommissar zur Auffrischung seines Gedächtnisses den ganzen Fall noch einmal langsam durchsprach. Auch der Assistent Schröder hatte das Gefühl gehabt, mit dem Kluge stimmte was nicht, er verbarg etwas. Nun, man würde ja sehen, in dieser Sache würde bald etwas erfolgen. Der Kommissar hatte das im Gefühl, und in solchen Dingen täuschte ihn sein Gefühl nur selten.
Und dieses Mal täuschte es ihn wirklich nicht. Es geschah in diesen Tagen der Bedrohung und des Ärgers, daß dem Kommissar gemeldet wurde, ein gewisser Borkhausen bitte, ihn sprechen zu dürfen.
Borkhausen? fragte sich Kommissar Escherich. Borkhausen? Was soll denn das für ein Borkhausen sein?
Ach so, ich weiß schon, dieser kleine Spitzel, der für acht Groschen seine Mutter verraten würde.
Und laut: «Soll reinkommen!» Als der Borkhausen aber eintrat, sagte er zu ihm: «Wenn Sie mir nur was über die Persickes erzählen wollen, können Sie gleich wieder kehrtmachen!»
Der Borkhausen sah den Kommissar fest an und schwieg. Er tat so, als ob er doch beabsichtigte, über die Persickes zu reden.
«Na also!» sagte der Kommissar. «Warum machen Sie nicht kehrt, Borkhausen?»
«Der Persicke hat doch den Radio von der Rosenthal, Herr Kommissar», sagte er vorwurfsvoll. «Ich weiß es jetzt genau, ich habe ...»
«Die Rosenthal?» fragte Escherich. «Das ist doch die olle Jüdsche, die in der Jablonskistraße aus dem Fenster gesprungen ist?»
«Das ist sie!» bestätigte Borkhausen. «Und den Radio hat er ihr einfach geklaut, das heißt, da war sie schon tot, aber aus der Wohnung .»
«Nun will ich Ihnen mal was sagen, Borkhausen», er-klärte Escherich. «Ich habe mich mit dem Kommissar Rusch über den Fall besprochen. Wenn Sie damit nicht aufhören,
gegen die Persickes zu stänkern, so fahren wir hier mit Ihnen Schlitten. Wir wollen von dieser Geschichte kein Wort mehr hören - und von Ihnen schon gar nicht! Sie sind der allerletzte, der in dieser Sache rumsto-chern dürfte. Ja, Sie, Borkhausen!»
«Aber er hatte den Radio doch geklaut ...» fing Borkhausen mit jener sturen Hartnäckigkeit wieder an, die nur blinder Haß verleiht. «Wo ich es ihm doch direkt beweisen kann .»
«Jetzt
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