Jeder stirbt für sich allein
hat klauen wollen!
Was er in den Koffern hatte, war geklaute Ware - sonst wäre er nicht so erschrocken gewesen bei Borkhausens Anblick, sonst wäre er jetzt nicht so ängstlich und betu-lich. Niemand, der was Rechtes vorhat, kriecht so vor einem andern; das weiß Borkhausen aus eigenster Erfahrung.
«Vielleicht jetzt ein Schnäpschen gefällig, Herr Hausverwalter?»
«Nein!» Borkhausen brüllt das fast. «Halten Sie den Mund, ich muß noch was überlegen ...»
Die Ratte ist zusammengezuckt und schweigt.
Borkhausen hat ein sehr schlechtes Jahr hinter sich.
Nein, die damals von Frau Häberle gesandten zweitausend Mark hat er auch nicht bekommen. Die Post hat ihm auf seinen Nachsendungsantrag hin mitgeteilt, daß die Gestapo das Geld für sich, als aus einem Verbrechen stammend, angefordert habe, er möge sich mit der Gestapo in Verbindung setzen. Nein, Borkhausen hatte das nicht getan.
Er wollte nie wieder etwas mit diesem wortbrüchigen Escherich zu tun haben, und Escherich schickte auch nie wieder nach Borkhausen.
Das war also ein Reinfall gewesen; viel schlimmer aber war es noch, daß der KunoDieter nicht wieder nach Haus gekommen war. Zuerst hatte Borkhausen noch gedacht: Na, warte du! Wenn du erst wieder zu Hause bist! Hatte sich mit der Ausmalung von Prügelszenen ergötzt und die angstvollen Fragen Ottis nach dem Ausbleiben ihres Lieblings mit Grobheiten abgewimmelt.
Aber als dann Woche um Woche verging, war die Lage ohne KunoDieter doch ziemlich unerträglich geworden.
Die Otti wurde zu einer wahren Giftschlange und machte ihm das Leben zur Hölle. Ihm war es schließlich egal, mochte der Bengel ganz wegbleiben, um so besser: ein unnützer Fresser weniger im Haus! Aber Otti stellte sich reineweg toll an wegen ihres Lieblings, es war, als könnte sie keinen Tag mehr ohne KunoDieter leben, und früher hatte sie doch auch bei ihm nie mit Schelten und Prügeln gespart.
Schließlich war die Otti ganz meschugge geworden, sie war zur Polizei gelaufen und hatte den eigenen Mann wegen Mordes am Sohne angezeigt. Mit solchen Leuten
wie mit Borkhausen machte man bei der Polizei nicht viel Umstände, er stand dort in gar keinem Rufe, weil er nämlich im allerschlechtesten stand, sie setzten ihn sofort auf dem Kriminalgericht fest.
Elf Wochen hatten sie ihn dort behalten, er hatte tüchtig Tüten kleben und Tauwerk zupfen müssen, sonst zogen sie ihm noch von dem Essen ab, von dem er sowieso nicht satt wurde. Das Schlimmste aber waren die Nächte gewesen, wenn Fliegerangriffe erfolgten. Borkhausen hatte ei-ne gewaltige Angst vor Fliegerangriffen. Er hatte mal eine Frau in der Schönhauser Allee gesehen: eine Brandbombe war in sie gefahren und in ihr steckengeblieben - nie in diesem Leben würde Borkhausen den Anblick vergessen.
Er hatte also Angst vor Fliegern, und wenn die immer näher dröhnten, und die ganze Luft war voll von ihrem Geräusch, und dann kamen die ersten Einschläge, und seine Zellenwand war rot beleuchtet vom Flackerschein ferner und naher Brände ... Nein, sie ließen die Gefangenen nicht aus der Zelle, sie ließen sie nicht in den Keller, in dem sie sicher gesessen hätten, die Speckjäger, die! In solchen Nächten wurde das ganze riesige Zellengefängnis Moabit hysterisch, an den Fenstern hingen sie und schrien
- oh, wie sie schrien! Und Borkhausen hatte mitge-schrien! Er hatte geheult wie ein Tier, er hatte den Kopf auf seiner Schlafpritsche verborgen, und dann war er mit diesem Kopf gegen die Zellentür gerannt, immer mit dem Schädel voran
gegen die Zellentür, bis er dann vor Betäubung am Boden liegengeblieben war ... Das war seine Art Narkose, durch die er diese Nächte überstand!
Aber er war nach diesen elf Wochen Untersuchungshaft natürlich nicht in sehr freundlicher Stimmung nach Haus zurückgekehrt. Selbstverständlich hatten sie ihm nicht das geringste nachweisen können, das wäre ja auch gelacht; aber diese elf Wochen hätte er sich ersparen können, wenn Otti nicht so ein Aas gewesen wäre! Und wie ein Aas behandelte er sie nun auch, sie, die mit ihren Freunden kein schlechtes Leben in seiner Wohnung geführt hatte (deren Miete sie regelmäßig bezahlte), während er hatte Taue zupfen und vor Angst halb wahnsinnig werden müssen.
Von da an hagelte es Schläge in der Borkhausenschen Wohnung. Bei dem geringsten Mucks schlug der Mann zu, ganz gleich, was er in der Hand hatte; er schmiß es ihr in die Fresse, dem Aas, dem verdammten, das ihn so ins Unglück gebracht
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