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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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säuselte die Ratte beruhigend. «Ich hab's nicht so gemeint. Kleines Mißverständnis. Alles in Friede und Freundschaft. Immer
    mit der Ruhe - alte Parteigenossen wie wir!»
    «Wo hast du deinen Ausweis? Wieso kommst du in meine Bude und zeigst keinen Ausweis? Du weißt, das ist von Partei wegen verboten!»
    Aber in diesem Punkt war Klebs nicht zu schrecken: die Gestapo hatte für vollgültige, ausgezeichnete, lückenlose Ausweise gesorgt.
    «Da, Herr Persicke, sehen Sie sich alles in Ruhe an.
    Stimmt alles. Bin berechtigt, Erkundigungen einzuziehen, und Sie sollen mir helfen, wenn Sie können!»
    Der alte Mann sah mit trüben Augen auf die Ausweise, die ihm vorgehalten wurden - Klebs hütete sich wohl, sie aus der Hand zu geben. Die Schrift verschwamm vor seinen Augen, er tippte schwerfällig mit dem Finger darauf:
    «Sind Sie das?»
    «Aber das sehen Sie doch, Herr Persicke! Alle sagen, das Bild ist mir mächtig ähnlich!» Und eitel: «Nur soll ich in Wirklichkeit zehn Jahre jünger aussehen. Ich weiß das nicht, ich bin nicht eitel. Ich sehe nie in den Spiegel!»
    «Nimm das Zeugs weg!» knurrte der Exbudiker. «Mag jetzt nicht lesen. Setz dich hin, trink Schnaps, rauch, aber sei ruhig. Ich muß erst mal nachdenken.»
    Die Ratte Klebs tat, wie ihr befohlen, und beobachtete dabei aufmerksam ihr Gegenüber, das wieder in seinen Rausch zu versinken schien.
    Ja, der alte Persicke, der auch einen großen Schluck aus seiner Flasche genommen hatte, war wieder von seiner Klarheit verlassen, unwiderstehlich zog es ihn zurück in den Strudel seiner Betrunkenheit, und was er Nachdenken nannte, das war ein hilfloses Grübeln, das Suchen nach etwas, das ihm längst entfallen war. Er wußte nicht einmal, was er suchte.
    Er war in einer schlimmen Lage, der alte Mann. Erst war der eine Sohn nach Holland gekommen, dann der andere nach Polen. Baldur war auf eine Napola geschickt worden, der ehrgeizige Bengel hatte sein erstes Ziel erreicht: er war unter die Ersten der deutschen Nation aufgenommen worden, ein Sonderschüler des Führers selbst.
    Er lernte weiter, er lernte beherrschen, nicht grade sich selbst, aber alle anderen Menschen, die es nicht so weit gebracht hatten wie er.
    Der Vater war mit Frau und Tochter allein geblieben. Er hatte immer schon zu gerne getrunken, der alte Persicke war schon in der verkrachten Budike sein bester Gast gewesen. Als die Söhne fort waren, als vor allem Baldurs Aufsicht fehlte, hatte Persicke zu trinken angefangen, mit Saufen war er fortgefahren. Der Frau war es zuerst un-heimlich geworden, klein, ängstlich, weinerlich in diesem Männerhaushalt, in dem sie nie mehr als ein unbezahltes und sehr schlecht behandeltes Dienstmädchen gewesen war, hatte sie die Angst gepackt, woher denn der Mann wohl all das Geld für den vielen Schnaps nahm. Dazu kam die Angst vor den Drohungen, den Mißhandlungen durch den Betrunkenen - und sie war heimlich zu Verwandten geflohen, den Vater der Tochter überlassend.
    Die Tochter, ein wüstes Ding, durch den BDM gegangen, sogar Führerin im BDM gewesen, hatte nicht die geringste Neigung gehabt, dem Alten seinen Dreck nachzu-räumen und sich dafür noch schlecht behandeln zu lassen.
    Sie verschaffte sich durch ihre Verbindungen eine Stellung als Aufseherin im Frauen-KZ Ravensbrück und zog es vor, dort alte Frauen, die nie in ihrem Leben körperliche Arbeit geleistet hatten, mit scharfen Schäferhunden und schwipper Reitpeitsche dahin zu bringen, daß sie mehr Arbeit taten, als ihr Körper leisten konnte.
    Der alleingebliebene Vater versank immer mehr. Auf seinem Büro hatte er sich krank melden lassen, niemand sorgte für sein Essen, er lebte fast nur noch von Alkohol.
    In den ersten Tagen hatte er sich auf seine Marken wenigstens noch ab und zu Brot geholt, aber die Marken waren ihm abhanden gekommen, oder man hatte sie ihm auch gestohlen, seit Tagen hatte Persicke nichts mehr gegessen.
    In der vergangenen Nacht war er sehr krank gewesen, das wußte er noch. Er wußte nicht mehr, daß er getobt hatte, Geschirr zerschlagen, Schränke umgestürzt, daß er in grauenvoller Angst überall Verfolger gesehen hatte.
    Quangels und der alte Kammergerichtsrat Fromm hatten an seiner Tür gestanden und hatten geklingelt und geklingelt. Aber er hatte sich nicht gerührt, er hatte sich gehütet, seinen Verfolgern aufzumachen. Dort draußen standen nur die Boten der Partei, die von ihm die Abrechnung über seine Kasse haben wollten, und es fehlten doch über dreitausend Mark

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