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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Sie mit dem kleinen Herrn, der vor Ihnen die Treppe hinaufging, nichts gar zu Schlimmes angestellt haben. Und dann werden wir ja wohl auch noch den Herrn Persicke finden, Herr Wachtmeister, letzte Nacht hatte der einen Anfall von Delirium tremens.»
    43
    Zwischenspiel: Ein Idyll auf dem Lande Die Exbriefträgerin Eva Kluge arbeitet auf dem Kartoffelacker, genau wie sie es einmal geträumt hat. Es ist ein schöner, für die Arbeit ziemlich heißer Frühsommertag, der Himmel ist strahlend blau, und es ist, besonders hier in der geschützten Ecke nahe am Walde, fast windstill.
    Während des Hackens hat Frau Eva ein Kleidungsstück nach dem andern abgelegt; nun trägt sie nur noch Bluse und Rock. Ihre kräftigen nackten Beine, wie ihr Gesicht, wie ihre Arme, sind goldigbraun.
    Ihre Hacke trifft Melde, Hederich, Disteln, Quecken -sie kommt nur langsam vorwärts, der Acker ist sehr verunkrautet. Oft trifft ihre Hacke auch einen Stein, da klingt es silbern-singend - das hört sich gut an. Nun gerät Frau Eva nahe dem Waldrand in ein Nest des roten Weiderichs - diese Senke ist feucht, die Kartoffeln kümmern, aber der rote Weiderich triumphiert. Eigentlich hat sie jetzt frühstücken wollen, und nach dem Stand der Sonne zu urteilen, wäre es auch Zeit dafür, aber nun will sie doch lieber erst diese Weiderichpest vernichten, ehe sie pausiert. Sie hackt angestrengt, ihre Lippen sind fest geschlossen. Sie hat es hier auf dem Lande gelernt, das Unkraut zu verachten, dieses Ungeziefer, erbarmungslos hackt sie drauflos.
    Aber wenn Frau Evas Mund auch fest geschlossen ist, ihr Auge blickt klar und ruhig. Der Blick hat nicht mehr den strengen, stets versorgten Ausdruck wie vor zwei Jahren in ihrer Berliner Zeit. Sie ist ruhig geworden, sie hat überwunden. Sie weiß, daß der kleine Enno tot ist, Frau Gesch hat es ihr aus Berlin geschrieben. Sie weiß, daß sie beide Söhne verloren hat - Max ist in Rußland gefallen, und Karlemann ist ihr verloren. Sie ist noch nicht ganz fünfundvierzig Jahre alt, sie hat noch ein gutes Stück Leben vor sich, sie verzweifelt nicht, sie arbeitet. Sie will die ihr noch verbleibenden Jahre nicht einfach verwarten, sie will etwas schaffen.
    Sie hat auch etwas, auf das sie sich alle Tage freuen kann: das ist das allabendliche Zusammensein mit dem
    Aushilfsschulmeister des Dorfes. Der «richtige» Lehrer Schwoch, ein wütendes Parteimitglied, ein kleiner, feiger Kläffer und Denunziant, der hundertmal mit Tränen in den Augen versichert hat, wie leid es ihm tue, daß er nicht an die Front dürfe, sondern nach dem Befehl des Führers auf seinem ländlichen Posten ausharren müsse - der
    «richtige» Lehrer Schwoch also ist nun doch trotz aller ärztlichen Atteste zur Wehrmacht eingezogen worden.
    Das ist nun fast ein halbes Jahr her. Aber der Weg zur Front muß für diesen Kampfbegeisterten schwierig sein: vorläufig sitzt der Lehrer Schwoch noch immer als Schreiber auf einer Zahlmeisterstube. Öfter fährt Frau Schwoch mit Speck und Schinken zu ihrem Mann, aber der Mann ißt wohl nicht alleine diese köstlichen Fettigkeiten: Es habe geklappt, jetzt würde ihr guter Walter Unteroffizier, hat Frau Schwoch nach ihrer letzten Speckreise verkündet. Unteroffizier - wo doch nach einem Befehl des Führers Beförderungen nur bei der kämpfenden Truppe erfolgen durften. Aber für glühende Parteigenossen mit Schinken und Speck gelten solche Führerbefehle natürlich nicht.
    Nun, Frau Eva Kluge ist das gleichgültig. Sie weiß jetzt genau, wie das alles ist, seit sie aus der Partei ausgetreten ist. Jawohl, sie war in Berlin; als sie wieder die nötige innere Ruhe gewonnen hatte, fuhr sie nach Berlin und stellte sich dem Parteigericht und dem Postamt. Es waren keine angenehmen Tage gewesen, bei weitem nicht, sie war
    angebrüllt, bedroht und während ihrer fünftägigen Haft auch einmal verprügelt worden, das KZ war ihr nahe gewesen -aber schließlich hatte man sie laufenlassen.
    Staatsfeindin - nun, sie würde es ja eines Tages noch erleben, was sie davon hatte.
    Eva Kluge hatte ihren Hausstand aufgelöst. Vieles hatte sie verkaufen müssen, denn im Dorf hatte man ihr nur eine Stube bewilligt, aber sie wohnte jetzt für sich allein.
    Sie arbeitete auch nicht mehr bloß für den Schwager, der ihr am liebsten nur die Kost und nie Geld gegeben hätte, sie sprang überall bei den Bauern ein. Sie machte nicht nur Feld-und Hofarbeit, sondern betätigte sich auch als Krankenpflegerin, als Näherin, als Gärtnerin, als

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