Jeder stirbt für sich allein
habe einen Krankenschein ausgeschrieben, für meine Frau. Meine Frau ist nämlich krank, Grippe ...»
«Und Ihre Frau hat mir gesagt, Sie schreiben nie. Alles, was bei Ihnen geschrieben wird, schreibt sie, hat sie gesagt.»
«Das ist auch ganz richtig, was meine Frau gesagt hat.
Die schreibt alles. Aber gestern mußte ich, weil sie Fieber hatte. Sie weiß davon nichts.»
«Und sehen Sie einmal, Herr Quangel», fuhr der Kommissar fort, «wie die Feder spießt! Es ist eine ganz neue Feder, aber schon spießt sie. Das macht, weil Sie solch schwere Hand haben, Herr Quangel.» Er legte die beiden in der Werkstatt gefundenen Karten auf den Tisch. «Sehen Sie, die erste Karte ist noch ganz glatt geschrieben. Aber bei der zweiten, sehen Sie - hier - und hier - und da das B auch -, da hat die Feder gespießt. Nun, Herr Quangel?»
«Das sind die Karten», sagte Quangel gleichgültig, «die haben in der Werkstatt auf dem Boden gelegen. Ich habe dem mit der blauen Jacke gesagt, er soll sie aufheben. Da hat er's getan. Ich habe einen Blick auf die Karten geworfen, dann habe ich sie gleich dem Vertrauensmann von der Arbeitsfront gegeben. Der ist mit den Karten weggegangen. Und weiter weiß ich von den Dingern nichts.»
Das alles hatte Quangel eintönig und langsam gesagt, mit einer schwerfälligen Zunge, wie ein alter, etwas beschränkter Mann.
Der Kommissar fragte: «Aber das sehen Sie doch, Herr Quangel, daß diese zweite Karte zum Schluß mit einer gespaltenen Feder geschrieben ist?»
«Davon verstehe ich nichts. Ich bin gewissermaßen kein Schriftgelehrter, wie es in der Bibel heißt.»
Eine Weile war es ganz still in dem Zimmer. Quangel sah vor sich hin auf den Tisch, mit einem fast ausdrucks-losen Gesicht.
Der Kommissar sah den Mann an. Er war fest davon überzeugt, daß dieser Mann nicht so langsam und schwerfällig war, wie er jetzt tat, sondern scharf wie sein Gesicht und so rasch wie sein Auge. Der Kommissar sah es als seine erste Aufgabe an, diese Schärfe aus dem Mann hervor-zulocken. Er wollte mit dem schlauen Kartenschreiber reden, nicht mit diesem alten, von Arbeit töricht gewordenen Werkmeister.
Nach einer Weile fragte Escherich: «Was sind denn das da für Bücher auf dem Regal?»
Langsam hob Quangel den Blick, sah einen Augenblick den andern an und drehte dann den Kopf ruckweise, bis das Bücherregal ihm in Sicht kam.
«Was das für Bücher sind? Da steht das Gesangbuch von meiner Frau und ihre Bibel. Und das andere sind wohl alles Bücher von meinem Sohn, der gefallen ist. Ich lese keine Bücher, ich besitze keine. Ich habe nie gut lesen können .»
«Geben Sie mir doch mal das vierte Buch von links, Herr Quangel, das mit dem roten Einband.»
Langsam und vorsichtig nahm Quangel das Buch aus der Reihe, trug es behutsam, als sei es ein rohes Ei, an den Tisch und legte es vor den Kommissar.
«Otto Runges Radiobastelbuch», las der Kommissar laut vom Deckel vor. «Na, Quangel, fällt Ihnen nichts ein, wenn Sie dies Buch sehen?»
«Ein Buch von meinem Sohn Otto, der gefallen ist», antwortete Quangel langsam. «Der hatte es mit den Radios. Der war bekannt, um den haben sich die Werkstätten gerissen, der kannte jede Schaltung ...»
«Und sonst fällt Ihnen nichts ein, Herr Quangel, wenn Sie dies Buch sehen?»
«Nee!» Quangel schüttelte den Kopf. «Ich weiß von nichts. Ich les nicht in solchen Büchern.»
«Aber vielleicht legen Sie was rein? Schlagen Sie das Buch mal auf, Herr Quangel!»
Das Buch öffnete sich genau an der Stelle, wo die Karte lag.
Quangel starrte auf die Worte: «Führer befiehl, wir folgen .»
Wann hatte er das geschrieben? Lange, lange mußte es her sein. Ganz im Anfang. Aber warum hatte er es nicht zu Ende geschrieben? Wieso lag die Karte hier im Buch von Ottochen?
Und langsam dämmerte ihm eine Erinnerung an den ersten Besuch seines Schwagers Ulrich Heffke. Damals war die Karte rasch fortgesteckt worden, und er hatte an Ottochens Kopf weitergeschnitzt. Weggesteckt und vergessen, von ihm wie von Anna!
Das war die Gefahr, die er immer gefühlt hatte! Das war der Feind im Dunkeln, den er nicht hatte sehen können, den er aber immer geahnt hatte. Das war der Fehler, den er gemacht hatte, der nicht zu berechnen gewesen war ...
Sie haben dich! sprach es in ihm. Jetzt hast du dich um deinen Kopf gespielt - durch deine eigene Schuld. Jetzt bist du geliefert.
Und: Ob Anna irgend etwas gestanden hat? Sicher haben sie ihr die Karte gezeigt. Aber Anna hat trotzdem geleugnet,
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