Jeder stirbt für sich allein
wenig redende Quangel nun überhaupt nichts mehr sprach und daß er unter diesem Zutreibersystem eher geneigt war, die Sieben grade sein zu lassen.
Aber wer sollte auf einen so trockenen, unausgiebigen Mann wie Otto Quangel groß achten? Er schien zeit seines Lebens nur ein Arbeitstier gewesen zu sein, ohne irgendein anderes Interesse als das für die Arbeit, die er zu verrichten hatte. Er hatte nie einen Freund hier besessen, nie zu jemandem ein freundliches Wort gesprochen. Arbeit, nur Arbeit, ganz gleich, ob Menschen oder Maschinen, wenn sie nur ihre Arbeit taten!
Dabei war er nicht einmal unbeliebt, trotzdem er die Aufsicht über die Werkstatt hatte und zur Arbeit antrei-ben mußte. Aber er schimpfte nie, und er schwärzte nie jemanden bei den Herren vorne an. Schien ihm irgendwo die Arbeit nicht richtig voranzugehen, so ging er dorthin und beseitigte wortlos mit seinen geschickten Händen das Arbeitshindernis. Oder er stellte sich zu ein paar Schwätzern und blieb, die dunklen Augen fast blicklos auf die Sprechenden geheftet, so lange bei ihnen stehen, bis ihnen die Lust zum Weiterreden vergangen war. Ständig ver-breitete er ein Gefühl von Kühle um sich. In den kurzen Ruhepausen suchten die Arbeiter möglichst entfernt von ihm zu sitzen, und so genoß er eine ihm ganz selbstverständlich gezollte Achtung, die ein anderer mit noch so viel Reden und Anfeuern sich nicht verschafft hätte.
Auf der Fabrikleitung wußten sie auch wohl, was sie an Otto Quangel hatten. Seine Werkstatt erzielte stets die höchsten Leistungen, es gab nie Schwierigkeiten mit den Leuten, und Quangel war willig. Er wäre längst aufgerückt, wenn er sich hätte entschließen können, in die Partei einzutreten. Aber das lehnte er stets ab. «Für so was habe ich kein Geld übrig», sagte er dann wohl. «Ich brauch jede Mark. Ich muß 'ne Familie ernähren.»
Man grinste im geheimen über das, was man seinen schmutzigen Geiz nannte. Dieser Quangel schien ja innerlich über jeden Groschen, den er zu einer Sammlung spenden mußte, vor Leid zu vergehen. Er bedachte gar nicht, daß er durch den Eintritt in die Partei viel mehr an Gehaltszulage gewann, als er durch den Parteibeitrag verlor. Aber dieser tüchtige Werkmeister war eben politisch hoffnungslos, und so hatte man denn auch keine Bedenken, ihn in dieser kleinen leitenden Stellung zu belassen, obwohl er kein Parteimitglied war.
In Wahrheit war es nicht der Geiz Otto Quangels, der ihn von einem Eintritt in die Partei abhielt. Gewiß, er war in Gelddingen sehr genau und konnte sich über einen unüberlegt ausgegebenen Groschen noch wochenlang hinterher ärgern. Aber eben, weil er bei sich genau war, war er es auch bei andern, und diese Partei schien alles andere als genau bei der Durchführung ihrer Grundsätze zu sein.
Was er bei der Erziehung seines Sohnes durch Schule und Hitlerjugend erlebt, was er von Anna gehört hatte, wie er selbst erlebt hatte, daß alle gutbezahlten Posten in der Fabrik mit Parteigenossen besetzt wurden, denen die tüchtigsten Nichtparteigenossen stets zu weichen hatten -das alles bestärkte ihn in seiner Überzeugung, daß die Partei nicht genau, das heißt nicht gerecht war, und mit einer solchen Sache wollte er nichts zu tun haben.
Darum hatte ihn ja auch Annas Ruf «Du und dein Führer» am Morgen so sehr gekränkt. Gewiß, er hatte bisher an den ehrlichen Willen des Führers geglaubt. Man brauchte nur alle diese Schmeißfliegen und Speckjäger, denen es nur um Geldscheffeln und Lebeschön ging, aus seiner Umgebung zu entfernen, und alles wurde besser.
Aber bis es soweit war, machte er nicht mit, er nicht, und das wußte Anna, die einzige, mit der er wirklich sprach, auch ganz gut. Nun schön, sie hatte es in ihrer ersten
Aufregung gesagt, er würde es mit der Zeit schon vergessen, er konnte ihr nie was nachtragen.
Wie er da so mitten im Sausen und Kreischen seiner Werkstatt steht, den Kopf etwas erhoben und den Blick langsam von der Dicktenhobelmaschine zu der Bandsäge, zu den Naglern, Bohrern, Bretterträgern wandern läßt, merkt er, wie diese Nachricht von Ottos Tod und ganz besonders Annas und Trudels Verhalten immer weiter in ihm wirken. Er denkt nicht eigentlich darüber nach, er weiß vielmehr genau, daß dieser Liederlich, dieser Tischler Dollfuß, schon vor sieben Minuten die Werkstatt verlassen hat und daß die Arbeit in seiner Reihe darum stockt, weil er auf dem Abtritt wieder mal eine Zigarette rauchen muß, oder weil er dort Reden
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