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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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wären -
    eben ein Narr! -, wären Sie längst gehängt. Aber ich habe Mitleid mit Ihnen.»
    «Wenden Sie Ihr Mitleid lieber Ihren Gefangenen zu», antwortet der Pastor ebenso kalt. «Und sorgen Sie für einen pflichtbewußten Arzt.»
    «Sie machen die Tür jetzt am besten von außen zu, Herr Pastor.»
    «Ich habe Ihr Versprechen, daß Sie für einen andern Arzt sorgen?»
    «Nein, nein, zum Donnerwetter, nein! Scheren Sie sich zum Henker!»
    Jetzt war der Direktor doch in Wut geraten, er war aufgesprungen hinter seinem Schreibtisch und hatte zwei Schritte auf den Pastor zu gemacht. «Soll ich Sie mit Gewalt rausschmeißen, wollen Sie das?» «Es würde nicht gut auf die Gefangenen draußen in der Schreibstube wirken. Es würde das bißchen Ansehen, das die Staatsautorität noch bei ihnen genießt, noch mehr erschüttern. Aber immerhin, wie Sie wollen, Herr Direktor!»
    «Narr!» sagte der Direktor, war aber durch den Hinweis des Pastors so weit ernüchtert, daß er sich wieder auf seinen Stuhl setzte. «Gehen Sie jetzt. Ich habe zu arbeiten.»
    «Die dringendste Arbeit ist die Bestellung eines neuen Arztes.»
    «Glauben Sie, durch Ihre Hartnäckigkeit etwas zu erreichen? Gerade das Gegenteil erreichen Sie! Der Doktor bleibt nun erst recht!»
    «Ich erinnere mich», sagte der Pastor, «eines Tages, da Sie selbst mit diesem Arzt nicht ganz zufrieden waren. Es war Nacht, es stürmte. Sie hatten um andere Ärzte geschickt und telefoniert, die nicht kamen. Ihr sechsjähriger Berthold hatte eine Vereiterung des Mittelohrs, er wimmerte vor Schmerzen. Es bestand Lebensgefahr. Ich holte auf Ihre Bitten den Gefängnisarzt. Er war betrunken.
    Beim Anblick des sterbenden Kindes verlor er den Rest seiner Besinnung; er verwies auf seine zitternden Hände, die jeden chirurgischen Eingriff unmöglich machten, und brach in Tränen aus.»
    «Der betrunkene Schuft!» murmelte der Direktor, der plötzlich finster geworden war.
    «Ihr Berthold ist gerettet worden damals, durch einen andern Arzt. Aber was einmal geschah, kann sich wiederholen. Sie rühmen sich, kein Christ zu sein, Herr Direktor, trotzdem sage ich Ihnen: Gott läßt seiner nicht spot-ten!»
    Der Gefängnisdirektor sagte mit Überwindung, ohne hochzusehen: «Also gehen Sie jetzt, Herr Pastor.»
    «Und der Arzt?»
    «Ich will sehen, was sich tun läßt.»
    «Ich danke Ihnen, Herr Direktor. Viele werden Ihnen danken.»
    Der Geistliche ging durch das Gefängnis, in seinem abgetragenen, schwarzen Rock, dessen Ellbogen grau schimmerten, mit seinen ausgebeutelten schwarzen Hosen, den dicksohligen, gefetteten Schuhen und der ver-rutschten schwarzen Binde, eine skurrile Figur. Manche von den Wärtern grüßten ihn, andere wandten sich osten-tativ bei seinem Nahen um und spähten ihm dann argwöhnisch nach, sobald er vorüber war. Aber alle auf den Gängen beschäftigten Gefangenen hatten einen Blick für ihn (da sie ihn nicht grüßen durften), einen Blick voller Dankbarkeit.
    Der Geistliche geht durch viele Eisentüren, über eiserne Treppen, sich am eisernen Geländer festhaltend. Aus einer Zelle hört er Weinen, er bleibt einen Augenblick stehen, schüttelt dann aber den Kopf und geht eilig weiter. Er kommt durch einen eisernen Kellergang, rechts und links gähnen die offenen Türen der Dunkelzellen, der Strafzellen, vor ihm brennt in einem Raum Licht. Der Pastor bleibt stehen und sieht hinein.
    In dem häßlichen, schmutzigen Raum sitzt an einem Tisch ein Mann, mit einem grauen, finsteren Gesicht und starrt mit fischigen Augen auf sieben Männer, die, er-bärmlich vor Kälte zitternd, splitternackt vor ihm stehen, unter der Aufsicht von zwei Wachtmeistern.
    «Na, ihr meine Hübschen!» grölt der Mann. «Was wak-kelt ihr denn so? Ein bißchen kalt, wie? Oh, nicht doch, was Kälte ist, das werdet ihr erst erleben, wenn ihr im Bunker sitzt, zwischen Eisen und Zement, bei Wasser und Brot ...»
    Er unterbricht sich. Er hat die schweigende, beobachtende Gestalt in der Tür gesehen. «Hauptwachtmeister», befiehlt er mürrisch, «führen Sie die Leute ab! Alle gesund und dunkelarrestfähig. Hier haben Sie den Wisch!»
    Er hat seinen Namen unter eine Liste gesetzt und gibt sie
    dem Beamten.
    Die Gefangenen gehen an dem Pastor vorüber, nicht ohne einen erbarmungswürdigen Blick auf ihn zu werfen, in dem doch schon eine leise Hoffnung glimmt.
    Der Pastor wartet, bis der letzte von ihnen verschwunden ist, dann erst tritt er ganz in den Raum und sagt leise:
    «Also 352 ist nun auch tot.

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