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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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beide noch mal! Ich erwisch euch!»
    Bei was die Hänsel den Pastor und die Trudel Hergesell erwischen wollte, blieb unklar. Trudel hatte für solche Schmähungen auch nur ein kurzes, spöttisches Auflachen und nahm dann wortlos ihre endlose Zellenwanderung wieder auf, immer mit dem Gedanken an Karli beschäftigt. Es war nicht zu verkennen, daß die Nachrichten über ihn stets schlechter wurden, so vorsichtig und schonend sie der Pastor auch abfaßte. Wenn es etwa hieß, daß nichts Neues vorlag, da sein Zustand unverändert sei, so bedeutete das, daß Karli ihr keinen Gruß bestellt hatte, was wieder so zu verstehen war, daß er besinnungslos lag. Denn der Pastor log nicht, das hatte Trudel auch schon gelernt, er bestellte keinen Gruß, wenn ihm keiner aufgetragen war. Er verschmähte jeden billigen Trost, der sich eines Tages doch als Lüge entpuppen mußte.
    Aber auch durch die Vernehmungen durch den Untersuchungsrichter wußte Trudel, daß es schlimm mit ihrem Manne stand. Nie wurde auf eine neuere Aussage von ihm Bezug genommen, über alles sollte sie Auskunft geben, und sie wußte doch wirklich nichts über den Koffer des Grigoleit, der sie beide ins Unglück gerissen hatte.
    Wenn die Vernehmungsmethoden des Untersuchungsrichters auch nicht so bodenlos gemein und brutal waren wie die des Kommissars Laub, die gleiche Hartnäckigkeit wie Laub hatte er auch. Trudel kam von diesen Sitzungen immer völlig erschöpft und mutlos in ihre Zelle zurück.
    Ach, Karli, Karli! Ihn nur einmal wiedersehen dürfen, an seinem Lager sitzen, seine Hand halten dürfen, ganz still, ohne ein Wort!
    Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte sie geglaubt, sie liebte ihn nicht, sie würde ihn nie lieben können. Nun war sie wie durchtränkt von ihm, die Luft, die sie atmete, war er, das Brot, das sie aß, er, die Decke, die sie wärmte, er. Und er war so nahe, ein paar Gänge, ein paar Treppen, eine Tür
    - aber auf der ganzen Welt war kein Mensch so barmherzig, daß er sie einmal, ein einziges Mal nur zu ihm hinge-führt hätte! Auch dieser schwindsüchtige Pastor nicht!
    Sie hatten eben alle Angst um ihr liebes Leben, sie wagten nichts Ernstliches, um einer Hilflosen wirklich zu helfen. Und plötzlich kommt in ihre Erinnerung der Leichenkeller aus dem Gestapobunker, der lange SS-Mann, der sich eine Zigarette ansteckte und zu ihr «Mädel! Mädel!»
    sagte, ihr Suchen zwischen den Leichen, nachdem Anna und sie die tote Berta entkleidet hatten - und es scheint ihr, als ob das damals noch eine milde, barmherzige Stunde war, als sie Karli suchen durfte. Und nun? Eingeschlossen das zuckende Herz zwischen Eisen und Stein! Allein!
    Die Tür wird geschlossen, viel langsamer und sachter, als es die Aufseherinnen tun, klopft es gar: der Pastor.
    «Darf ich eintreten?» fragt er.
    «Kommen Sie bitte, kommen Sie doch, Herr Pastor!» ruft Trudel Hergesell weinend.
    Während die Frau Hänsel mit einem gehässigen Blick murmelt: «Was will der denn schon wieder?»
    Und da lehnt Trudel plötzlich ihren Kopf gegen die schmale, rasch atmende Brust des Geistlichen, ihre Tränen fließen, sie verbirgt das Gesicht an seiner Brust, und sie fleht: «Herr Pastor, mir ist so angst! Sie müssen mir helfen! Ich muß den Karli sehen, nur einmal noch! Ich fühle, es wird das letzte Mal sein ...»
    Und die grelle Stimme der Frau Hänsel: «Das melde ich! Das melde ich aber sofort!» Während der Pastor ihr tröstend über den Kopf streicht und sagt: «Ja, mein Kind, Sie sollen ihn sehen, einmal noch!»
    Da schüttelt sie ein immer stärkeres Schluchzen, und sie weiß, daß Karli tot ist, daß sie ihn nicht umsonst im Leichenkeller gesucht hat, daß es eine Vorahnung war, eine Warnung.
    Und sie schreit: «Er ist tot! Herr Pastor, er ist tot!»
    Und er antwortet, er spendet den einzigen Trost, den er diesen Todgeweihten spenden kann, er sagt: «Kind, er
    leidet nicht mehr. Du hast es schwerer.»
    Sie hört es noch. Sie will darüber nachdenken, es richtig verstehen, aber es wird ihr dunkel vor den Augen. Das Licht erlischt. Ihr Kopf sinkt vornüber.
    «Fassen Sie doch mit an, Frau Hänsel!» bittet der Pastor.
    «Ich bin zu schwach, sie zu halten.»
    Und dann ist auch draußen Nacht, Nacht zu Nacht, Dunkel zu Dunkel.
    Trudel, verwitwete Hergesell, ist aufgewacht, und sie weiß, daß sie nicht in ihrer Zelle ist, und sie weiß wieder, daß Karli tot ist. Sie sieht ihn wieder liegen auf seiner schmalen Zellenpritsche, mit dem so klein und jung gewordenen Gesicht, und sie

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