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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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eigentlich auch nichts zu verzeihen gab. In diesen Verhören war niemand seiner ganz sicher, die gerissenen Kommissare konnten eine harmlose Erwähnung zu einer Schlinge machen, in der man sich rettungslos fing.
    Nun war Trudel ohne die Mutter, sie hatte niemanden mehr, mit dem sie sprechen konnte. Von dem Glück, das sie einmal besessen, von der Sorge um Karli, die sie jetzt ganz erfüllte, mußte sie schweigen. Ihre neue Zellengenossin war ein ältliches, gelbes Frauenzimmer - die beiden hatten sich vom ersten Augenblick gehaßt, und immer hatte dieses Weib mit den Wärterinnen und Aufseherinnen zu tuscheln. War der Pastor in der Zelle, entging kein Wort ihrer Aufmerksamkeit.
    Durch den Pastor hatte Trudel freilich doch etwas über
    ihren Karli erfahren. Frau Hänsel, ihre Zellengenossin, war gerade mal wieder vorne auf der Verwaltung, sicher, um irgendeinen Menschen durch ihre Klatschereien ins Unglück zu stürzen. Der Pastor hatte Trudel erzählt, daß ihr Mann mit ihr im gleichen Gefängnis sei, daß er aber krank liege, meist ohne klare Besinnung - immerhin kön-ne er ihr aber einen Gruß von Karli ausrichten.
    Seitdem lebte Trudel nur in der Hoffnung auf des Pfarrers Besuche. Wenn auch die Hänsel dabei war, immer brachte es der Geistliche fertig, ihr eine Nachricht zuzuschanzen. Oft saßen sie dabei unter dem Fenster, die Schemel eng aneinandergerückt, und der Pastor Lorenz las ihr ein Kapitel aus dem Neuen Testament vor, während die Hänsel meist an der andern Zellenwand stand, den Blick aufmerksam auf die beiden gerichtet.
    Für Trudel war die Bibel etwas ganz Neues. Sie war religionslos durch die Hitlerschulen gegangen, und sie hatte nie ein religiöses Bedürfnis gespürt. Gott war für sie kein Begriff, Gott war für sie nur ein Wort in Ausrufen wie:
    «Ach, du lieber Gott!» Man konnte ebensogut «Ach, du lieber Himmel!» sagen - es machte keinen Unterschied.
    Auch jetzt, als sie aus dem Evangelium Matthäi vom Leben Christi erfuhr, sagte sie dem Pastor, sie könne sich darunter, daß er «Gottes Sohn» sei, nichts vorstellen.
    Aber der Pastor Lorenz hatte dazu nur sanft gelächelt und gemeint, das schade jetzt nichts. Sie solle nur darauf achten, wie dieser Jesus Christus auf der Erde gelebt habe, wie er die Menschen geliebt habe, auch seine Feinde. Die
    «Wunder» solle sie nehmen, wie sie wolle, als schöne Märchen, aber sie solle doch erfahren, wie einer auf dieser Erde gelebt habe, so daß seine Spur noch nach fast zweitausend Jahren unvergänglich strahle, ewiges Abbild dessen, daß die Liebe stärker sei als der Haß.
    Trudel Hergesell, die ebenso kräftig hassen wie lieben konnte (und die beim Empfang dieser Lehre die Frau Hänsel in drei Metern Entfernung aus tiefstem Herzen haßte), Trudel Hergesell hatte sich zuerst gegen eine solche Lehre aufgelehnt. Sie kam ihr gar zu weichlich vor. So war es nicht Jesus Christus, der ihr Herz empfänglicher machte, sondern sein Pastor Friedrich Lorenz. Wenn sie diesen Mann betrachtete, dessen schwere Krankheit niemand übersehen konnte, wenn sie erlebte, daß er an ihren Sorgen teilhatte, als seien es seine eigenen, daß er nie an sich selbst dachte, wenn sie seinen Mut erkannte, der ihr beim Lesen einen Zettel in die Hand spielte, auf dem eine Botschaft über Karli stand, und wenn sie ihn dann mit der Angeberin Hänsel genauso freundlich-gütig sprechen hör-te wie mit ihr selbst, mit dieser Frau, von der er doch wußte, sie war zu jeder Minute fähig, ihn zu verraten, ihn dem Henker auszuliefern, so empfand sie etwas wie Glück, einen tiefen Frieden, der von diesem Mann ausging, der nicht hassen, sondern nur lieben wollte, auch noch den schlechtesten Menschen lieben.
    Dieses neue Gefühl bewirkte nun freilich nicht in ihr, daß die Trudel Hergesell milder zur Hänsel geworden wäre, aber sie wurde ihr vielleicht gleichgültiger, der Haß war ihr nicht mehr so wichtig.
    Sie konnte manchmal auf ihren Wanderungen durch die Zelle plötzlich vor der Hänsel stehenbleiben und sie fragen: «Warum machen Sie das eigentlich? Warum verklat-schen Sie jeden? Hoffen Sie eine geringere Strafe zubekommen?»
    Die Hänsel wendete bei einer solchen Ansprache den Blick ihrer gelben, bösen Augen nicht von Trudel ab.
    Entweder antwortete sie gar nichts, oder sie sagte: «Denken Sie denn, ich habe nicht gesehen, wie Sie Ihre Brust gegen den Arm vom Pastor gedrückt haben? So 'ne Gemeinheit, einen halbtoten Mann noch verführen zu wollen! Aber warte, ich erwisch euch

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