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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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«Also mit wieviel Männern hatten Sie bis zu Ihrer Ehe Beziehungen?»
    Alle Augen sind auf Frau Anna Quangel gerichtet. Einige Studenten im Hörerraum lecken sich die Lippen, jemand stöhnt wohlig.
    Quangel sieht mit einiger Besorgnis auf Anna, er weiß doch, wie empfindlich sie in diesem Punkte ist.
    Aber Anna Quangel hat sich entschlossen. Wie ihr Otto vorhin alle Bedenken wegen seiner Spargelder hinter sich geworfen hat, so war sie jetzt willens, schamlos vor diesen schamlosen Männern zu sein.
    Der Ankläger hatte gefragt: «Also mit wieviel Männern hatten Sie bis zu Ihrer Ehe Beziehungen?»
    Und Anna Quangel antwortet: «Mit siebenundachtzig.»
    Jemand prustet im Zuhörerraum los.
    Der Präsident wacht aus seinem Halbschlaf auf und sieht beinah interessiert auf die kleine Arbeiterfrau mit der gedrungenen Gestalt, den roten Bäckchen, der vollen Brust.
    Quangels dunkle Augen haben aufgeleuchtet, nun hat er die Lider wieder tief über sie gesenkt.
    Er sieht niemanden an.
    Der Ankläger aber stottert völlig verwirrt: «Mit siebenundachtzig? Wieso grade mit siebenundachtzig?»
    «Das weiß ich nicht», sagt Anna Quangel ungerührt.
    «Mehr waren's eben nicht.»
    «So?» sagt der Ankläger mißmutig. «So!»
    Er ist sehr mißmutig, denn er hat die Angeklagte plötzlich zu einer interessanten Figur gemacht, was keineswegs in seiner Absicht lag. Auch ist er, wie die meisten Anwesenden, fest davon überzeugt, daß sie lügt, daß es vielleicht nur zwei oder drei Liebhaber waren, womöglich sogar keiner. Man könnte sie wegen Verhöhnung des Gerichts in Strafe nehmen lassen. Aber wie ihr diese Absicht beweisen?
    Endlich entschließt er sich. Er sagt grämlich: «Ich bin fest davon überzeugt, daß Sie maßlos übertreiben, Angeklagte. Eine Frau, die siebenundachtzig Liebhaber gehabt hat, wird sich wohl kaum der Zahl erinnern. Sie wird antworten: Viele. Aber Ihre Antwort beweist grade Ihre Verkommenheit. Sie rühmen sich noch Ihrer Schamlosigkeit!
    Sie sind stolz darauf, eine Hure gewesen zu sein. Und aus der Hure sind Sie dann das geworden, was aus allen Huren gemeiniglich wird, Sie sind eine Kuppelmutter geworden. Den eigenen Sohn haben Sie verkuppelt.»
    Jetzt hat er Anna Quangel doch gebissen, der Pinscher.
    «Nein!» schreit Anna Quangel und erhebt bittend die Hände. «Sagen Sie doch das nicht! So etwas habe ich nie getan!»
    «Das haben Sie nicht getan?» kläfft der Pinscher. «Und wie wollen Sie das nennen, daß Sie der sogenannten Braut Ihres Sohnes mehrfach nachts Unterkunft gewährt haben?
    Da haben Sie wohl Ihren Sohn unterdes ausquartiert? He?
    Wo hat denn diese Trudel geschlafen? Sie wissen doch, sie ist tot, ja, das wissen Sie doch? Sonst säße dieses Frauenzimmer, diese Mithelferin Ihres Mannes bei seinen Verbrechen, auch hier auf der Anklagebank!»
    Aber die Erwähnung der Trudel hat Frau Quangel neuen Mut eingeflößt. Sie sagt, nicht zum Ankläger, sondern zum Gerichtshof hinüber: «Ja, gottlob, daß die Trudel tot ist, daß sie diese letzte Schande nicht miterlebt hat ...»
    «Mäßigen Sie sich gefälligst! Ich warne Sie, Angeklagte!»
    «Sie war ein gutes, anständiges Mädchen ...»
    «Und trieb ihr fünf Monate altes Kind ab, weil sie keine Soldaten zur Welt bringen wollte!»
    «Sie hat das Kind nicht abgetrieben, sie war unglücklich
    über seinen Tod!»
    «Sie hat es selber eingestanden!» «Das glaube ich nicht.»
    Der Ankläger schreit los: «Was Sie hier glauben oder nicht, das ist uns gleich! Aber ich rate Ihnen dringend, Ihren Ton zu ändern, Angeklagte, sonst erleben Sie noch etwas sehr Unangenehmes! Die Aussage der Hergesell ist von dem Kommissar Laub protokolliert. Und ein Kriminalkommissar lügt nicht!»
    Drohend sah sich der Pinscher im ganzen Saal um.
    «Und nun ersuche ich Sie nochmals, Angeklagte, mir zu sagen: Hat Ihr Sohn in intimen Beziehungen zu diesem Mädchen gestanden oder nicht?»
    «Danach sieht eine Mutter nicht hin. Ich bin keine Schnüfflerin.»
    «Aber Sie hatten eine Aufsichtspflicht! Wenn Sie den unsittlichen Verkehr Ihres Sohnes in der eigenen Wohnung zulassen, haben Sie sich der schweren Kuppelei schuldig gemacht, so bestimmt es das Strafgesetzbuch.»
    «Davon weiß ich nichts. Aber ich weiß, daß Krieg war und daß mein Junge vielleicht sterben mußte. In unsern Kreisen ist das so, wenn zwei verlobt sind, oder so gut wie verlobt, und noch dazu Krieg ist, so sehen wir nicht so genau hin.»
    «Aha, jetzt gestehen Sie also, Angeklagte! Sie haben von den

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