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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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die Köpfe zusammen.
    Da fiel der Blick des Anklägers Pinscher auf Ulrich Heffke, er betrachtete verwundert die erbarmungswürdige Gestalt und rief: «He, Sie da ...! Sie sind doch der Bruder der Angeklagten! Wie heißen Sie doch?»
    «Heffke, Ulrich Heffke», half dem Ankläger sein Assessor aus.
    «Zeuge Ulrich Heffke, das war Ihre Schwester! Ich for-dere Sie auf, sich zu dem Vorleben der Anna Quangel zu äußern! Was wissen Sie von diesem Vorleben?»
    Und Ulrich Heffke tat den Mund auf - er stand noch immer auf seiner Bank, und seine Augen blickten zum ersten Male ohne Scheu. Er tat den Mund auf, und mit einer angenehmen Falsettstimme sang er:
    «Valet will ich dir geben, du arge, falsche Welt! Dein sündlich böses Streben durchaus mir nicht gefällt. Im Himmel ist gut wohnen: hinauf steht mein Begier. Da wird Gott herrlich lohnen dem, der ihm dient allhier!»
    Alle waren derart verblüfft, daß sie ihn ruhig singen ließen. Einige empfanden sogar diesen schlichten Gesang angenehm und wiegten, der Melodie folgend, dumm die Köpfe hin und her. Der eine Beisitzer hatte den Mund weit offen. Studenten hielten mit den Händen die Schranke fest umklammert, mit einem gespannten Zug im Gesicht. Der versorgte graue Anwalt pulte sich bei schiefge-legtem Kopf gedankenvoll in der Nase. Otto Quangel hatte sein scharfes Gesicht auf den Schwager gerichtet und fühlte zum ersten Male sein kaltes Herz für den armen kleinen Kerl klopfen. Was würden sie mit ihm tun?
    «Verbirg mein Seel aus Gnaden in deiner offnen Seit, Rück sie aus allem Schaden in deine Herrlichkeit.
    Der ist wohl hin gewesen, der kommt ins Himmelsschloß; Der ist ewig genesen, der bleibt in deinem Schoß.»
    Während des Absingens der zweiten Strophe war es im Saale schon wieder unruhig geworden. Der Präsident hatte geflüstert, der Ankläger hatte einen Zettel zu dem wachhabenden Polizeioffizier geschickt.
    Aber der kleine Buckel hatte auf nichts von alledem geachtet. Sein Blick war zur Decke des Saales gerichtet.
    Nun rief er laut, mit einer ekstatisch verzückten Stimme: «Ich komme!»
    Er hob die Arme, er stieß mit den Füßen von der Bank ab, er wollte fliegen ...
    Dann fiel er unbeholfen zwischen die vor ihm sitzenden Zeugen, die erschrocken zur Seite sprangen, rollte zwischen die Bänke ...
    «Schaffen Sie den Mann raus!» rief der Präsident gebieterisch in den schon wieder tumultuarisch erregten Saal.
    «Er soll ärztlich untersucht werden!»
    Ulrich Heffke wurde aus dem Saal gebracht.
    «Wie man sieht: eine Familie von Verbrechern und Wahnsinnigen», stellte der Präsident fest. «Nun, es wird für die Ausmerzung gesorgt werden.»
    Und er warf einen drohenden Blick auf Quangel, der, seine Hosen mit den Händen haltend, noch immer auf die Tür sah, durch die der kleine Schwager verschwunden war.
    Freilich wurde für die Ausmerzung des kleinen Buckels Ulrich Heffke gesorgt. Körperlich wie geistig war er nicht lebenswert, und nach einem kurzen Anstaltsaufenthalt
    sorgte eine Spritze dafür, daß er dieser bösen Welt wirklich Valet sagen konnte.
    64
    Die Hauptverhandlung: Die Verteidiger Der Verteidiger Anna Quangels, der versorgte, graue ältliche Mann, der so gerne in selbstvergessenen Augenblik-ken in der Nase bohrte, und der unverkennbar jüdisch aussah (dem aber nichts «bewiesen» werden konnte, denn seine Papiere waren «rein arisch»), dieser Mann, der ex officio zum Rechtsbeistand der Frau gemacht worden war, erhob sich zu seinem Plädoyer.
    Er führte aus, daß er es sehr bedauern müsse, gezwungen zu sein, in Abwesenheit seiner Mandantin sprechen zu müssen. Gewiß seien ihre Ausfälle gegen so bewährte Einrichtungen der Partei wie die SA und SS beklagenswert .
    Zwischenruf des Anklägers: «Verbrecherisch!»
    Jawohl, selbstverständlich stimme er der Anklagebehör-de zu, solche Ausfälle seien höchst verbrecherisch. Immerhin sehe man an dem Fall des Bruders seiner Mandantin, daß sie kaum für voll zurechnungsfähig angesehen werden könne. Der Fall Ulrich Heffke, der sicher dem hohen Gerichtshof noch lebhaft in Erinnerung sei, habe bewiesen,
    daß in der Familie Heffke der Geist religiösen Wahns umgehe. Er nehme wohl, ohne dem Urteil des ärztlichen Sachverständigen vorgreifen zu wollen, mit Recht an, daß es sich um Schizophrenie handelte, und da die Schizophrenie zu den Erbkrankheiten gehöre ...
    Hier wurde der graue Verteidiger zum zweiten Male von dem Ankläger unterbrochen, der den Gerichtshof bat, den Rechtsanwalt zu

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