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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Ja auf die Frage «Schuldig?» hatte Stolz gezeigt. Präsident Feisler sah es den Gesichtern im Zuhörerraum an, die teils verblüfft, teils nachdenklich aussahen, und er wollte den Angeklagten diesen Stolz nehmen. Sie sollten aus dieser Verhandlung ohne Stolz, ohne Würde hinausgehen.
    Feisler fragte: «Sie sind sich klar darüber, daß Sie durch dieses Ja sich selbst das Leben abgesprochen haben, daß Sie sich selbst geschieden haben von allen anständigen Menschen? Daß Sie ein gemeiner, todeswürdiger Verbrecher sind, dessen Aas man am Halse aufhängen wird? Sie sind sich klar darüber? Antworten Sie mit Ja oder mit Nein!»
    Quangel sagte langsam: «Ich bin schuldig, ich habe getan, was in der Anklage steht.»
    Der Präsident hackte zu: «Sie sollen mit Ja oder Nein antworten! Sind Sie ein gemeiner Volksverräter oder sind Sie es nicht? Ja oder nein!»
    Quangel sah den feinen Herrn dort über sich scharf an. Er sagte: «Ja!»
    «Pfui Teufel!» schrie der Präsident und spuckte hinter sich. «Pfui Teufel! Und so was nennt sich Deutscher!»
    Er sah Quangel mit tiefer Verachtung an und wandte dann seinen Blick zu Anna Quangel. «Und Sie da, Sie Frau da?» fragte er. «Sind Sie auch so gemein wie Ihr Mann?
    Sind Sie auch eine schuftige Volksverräterin? Schänden
    Sie auch das Ansehen Ihres auf dem Felde der Ehre gefallenen Sohnes? Ja oder nein?»
    Der versorgte graue Anwalt erhob sich eilig und sagte:
    «Ich bitte doch, bemerken zu dürfen, Herr Präsident, daß meine Mandantin ...»
    Der Präsident hackte wieder zu. «Ich nehme Sie in Strafe, Herr Rechtsanwalt», sagte er, «ich nehme Sie sofort in Strafe, wenn Sie noch einmal, ohne aufgefordert zu sein, das Wort ergreifen! Setzen Sie sich!»
    Der Präsident wendete sich wieder an Anna Quangel.
    «Nun, wie ist es mit Ihnen? Besinnen Sie sich auf den letzten Rest von Anständigkeit in Ihrer Brust, oder wollen Sie so etwas sein wie Ihr Mann, von dem wir jetzt schon wissen, daß er ein gemeiner Volksverräter ist? Sind Sie eine Verräterin Ihres Volkes in schwerer Notzeit? Haben Sie den Mut, den eigenen Sohn zu schänden? Ja oder nein?»
    Anna Quangel sah ängstlich zögernd zu ihrem Mann hinüber.
    «Sie haben mich anzusehen! Nicht diesen Hochverräter! Ja oder nein!»
    Leise, aber deutlich: «Ja!»
    «Sie sollen laut reden! Wir wollen es alle hören, daß ei-ne deutsche Mutter sich nicht schämt, den Heldentod ihres eigenen Sohnes mit Schande zu bedecken!»
    «Ja!» sagte Anna Quangel laut.
    «Unglaublich!» rief Feisler. «Ich habe hier viel Trauriges und auch Grauenhaftes erlebt, aber eine solche Schande ist mir noch nicht vorgekommen! Sie müßten nicht gehängt, sondern entmenschte Bestien wie Sie müßten gevierteilt werden!»
    Er sprach mehr zu den Hörern als zu den Quangels, er nahm die Anklagerede des Anklägers vorweg. Er schien sich zu besinnen (er wollte seine Verhandlung haben):
    «Aber meine schwere Pflicht als Oberster Richter gebietet es mir, mich nicht einfach mit Ihrem Schuldbekenntnis zu begnügen. So schwer es mir auch fällt und so aussichtslos es erscheint, meine Pflicht gebietet es mir, nachzuprüfen, ob es nicht doch vielleicht irgendwelche Milderungsgrün-de gibt.»
    So begann es, und dann dauerte es sieben Stunden an.
    Ja, der kluge Dr. Reichhardt in der Zelle hatte sich geirrt und Quangel mit ihm. Nie hatten sie damit gerechnet, daß der höchste Richter des deutschen Volkes die Verhandlung in einer so abgrundtiefen, so gemeinen Gehässigkeit führen werde. Es war, als hätten die Quangels ihn selbst, den Herrn Präsidenten Feisler, höchstpersönlich gekränkt, als sei ein kleiner, mißgünstiger, nie verzeihender Mann in seiner Ehre beleidigt und lege es nun darauf an, seinen Gegner bis auf den Tod zu verletzen. Es war, als habe Quangel die Tochter des Präsidenten verführt, so persönlich war das alles, so himmelweit entfernt von aller Sach-lichkeit.
    Nein, da hatten sich die beiden gewaltig geirrt, dieses Dritte Reich hatte für seinen tiefsten Verächter immer noch neue Überraschungen, es war über jede Gemeinheit hinaus gemein.
    «Die Zeugen, Ihre anständigen Arbeitskameraden, haben ausgesagt, daß Sie von einem gradezu schmutzigen Geiz besessen waren, Angeklagter. Was haben Sie nun wohl in einer Woche verdient?» fragte der Präsident etwa.
    «Vierzig Mark habe ich in der letzten Zeit nach Haus gebracht», antwortete Quangel.
    «So, vierzig Mark, und da waren also die Abzüge, die Lohnsteuer und das Winterhilfswerk und die

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