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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Pistolentasche.
    Der Ankläger war aufgesprungen und schwenkte ein Blatt Papier.
    Frau Quangel blickte lächelnd auf ihren Mann und nickte eifrig.
    Der Schutzpolizist hinter ihr faßte nach ihrer Schulter und drückte sie schmerzhaft.
    Sie bezwang sich und schrie nicht.
    Ein Beisitzer starrte mit weit offenem Munde auf Quangel.
    Der Präsident sprang auf: «Sie Verbrecher, Sie! Sie Idiot! Sie Verbrecher! Sie wagen hier zu sagen ...»
    Er brach ab, auf seine Würde bedacht.
    «Der Angeklagte ist abzuführen. Wachtmeister, führen Sie den Kerl raus! Der Gerichtshof beschließt über eine angemessene Bestrafung ...»
    Nach einer Viertelstunde wurde die Verhandlung wieder aufgenommen.
    Viel beachtet wurde, daß der Angeklagte jetzt nicht mehr richtig gehen zu können schien. Allgemein dachte man: Den haben sie unterdes hübsch in der Mache gehabt.
    Auch Anna Quangel dachte dies mit Angst.
    Der Präsident Feisler verkündete: «Der Angeklagte Otto Quangel erhält für vier Wochen Dunkelarrest bei Wasser und Brot und völligem Kostentzug an jedem dritten Tag.
    Außerdem», setzte Präsident Feisler erklärend hinzu,
    «sind dem Angeklagten die Hosenträger fortgenommen worden, da er, wie mir gemeldet wurde, sich in der Pause eben verdächtig mit ihnen zu schaffen gemacht hat. Es besteht Selbstmordverdacht.»
    «Ich hab nur mal austreten müssen.» «Sie halten das Maul, Angeklagter! Es besteht Selbstmordverdacht. Der Angeklagte wird sich von nun an ohne Hosenträger behelfen müssen. Er hat sich das selbst zuzu-schreiben.»
    Im Zuhörerraum wurde schon wieder gelacht, aber jetzt warf der Präsident einen fast wohlwollenden Blick dorthin, er freute sich selbst an seinem guten Witz. Der Angeklagte stand da, in etwas verkrampfter Haltung, immer mußte er die rutschende Hose festhalten.
    Der Präsident lächelte. «Wir fahren in der Verhandlung fort.»
    62
    Die Hauptverhandlung: Ankläger Pinscher Während der Präsident des Volksgerichtshofes, Feisler, für jeden unvoreingenommenen Beobachter mit einem bösartigen Bluthund zu vergleichen war, spielte der An-kläger nur die Rolle eines kleinen kläffenden Pinschers, der darauf lauert, den vom Bluthund Angefallenen in die Wade zu beißen, während sein großer Bruder ihn bei der Kehle hatte. Ein paarmal hatte der Ankläger während der Verhandlung gegen die Quangels versucht, loszukläffen, aber immer hatte ihn sofort wieder das Gebell des Bluthundes übertönt. Was gab es da auch noch groß für ihn zu kläffen? Der Präsident verrichtete ja von der ersten Minute an die Dienste des Anklägers, von der ersten Minute an hatte Feisler die Grundpflicht jedes Richters verletzt, der die Wahrheit ermitteln soll: er war höchst parteiisch gewesen.
    Aber nach der Mittagspause, in der vom Präsidenten ein sehr reichhaltiges Mahl kartenfrei eingenommen war, zu dem es auch Wein und Schnaps gegeben hatte, war Feisler ein wenig müde. Was sollte auch noch alle Anstrengung?
    Die waren ja beide schon tot. Zudem war jetzt das Weib dran, diese kleine Arbeiterfrau - und die Weiber waren dem Präsidenten ziemlich gleichgültig, von seinem Richterstandpunkt aus. Die Weiber waren alle doof und nur zu einer Sache nütze. Sonst taten sie, was ihre Männer wollten.
    Feisler litt es also gnädig, daß nun der Pinscher sich in den Vordergrund drängte und zu kläffen anhob. Mit halbgeschlossenen Augen lehnte er in seinem Richterstuhl, den Kopf gestützt, scheinbar aufmerksam zuhörend, in Wirklichkeit aber ganz seiner Verdauung hingegeben.
    «Angeklagte, Sie waren doch schon ziemlich ältlich, als Ihr jetziger Mann Sie heiratete?»
    «Ich war an die Dreißig.»
    «Und vorher?»
    «Ich verstehe das nicht.»
    «Tun Sie bloß nicht so unschuldig, ich will wissen, was Sie vor Ihrer Ehe für Beziehungen zu den Männern hatten. Nun, wird's bald?»
    Bei der abgrundtiefen Gemeinheit dieser Frage wurde Anna Quangel erst rot, dann blaß. Hilfeflehend sah sie zu ihrem ältlichen Verteidiger hin, der aufsprang und sagte:
    «Ich bitte, die Frage als nicht zur Sache gehörig zurückzuweisen!»
    Und der Ankläger: «Meine Frage gehört zur Sache. Hier ist die Vermutung laut geworden, die Angeklagte sei nur eine Mitläuferin ihres Mannes gewesen. Ich werde beweisen, daß sie eine moralisch ganz tiefstehende Person war, aus dem Pöbel stammend, daß man sich bei ihr jedes Verbrechens zu versehen hat.»
    Der Präsident erklärte gelangweilt: «Die Frage gehört zur Sache. Sie ist zugelassen.»
    Der Pinscher kläffte neu:

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