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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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doch, mein Kollege, der Ihre Frau verteidigte, hat recht gehabt: Sie beide sind wahnsinnig.»
    «Nennen Sie es wahnsinnig, daß man jeden Preis dafür bezahlt, anständig zu bleiben?»
    «Sie hätten das auch ohne Karten bleiben können.»
    «Das wäre schweigende Zustimmung gewesen. Was haben Sie dafür bezahlt, daß Sie so ein feiner Herr geworden sind mit so schön gebügelten Hosen, mit lackierten Fingernägeln und mit verlogenen Verteidigungsreden? Was haben Sie dafür bezahlt?»
    Der Anwalt schwieg.
    «Da haben Sie es!» sagte Quangel. «Und Sie werden immer mehr dafür bezahlen, und vielleicht werden Sie eines Tages auch den Kopf dafür lassen müssen, genau wie ich, aber dann lassen Sie ihn für Ihre Unanständigkeit!»
    Noch immer schwieg der Anwalt.
    Quangel stand auf.
    «Sehen Sie», lachte er. «Sie wissen gut, daß der hinter den Gitterstäben anständig ist und Sie davor der Lump, daß der Verbrecher frei ist, aber der Anständige zum Tode verurteilt. Sie sind kein Rechtsanwalt, nicht ohne Grund habe ich Sie Linksanwalt genannt. Und Sie wollen ein Gnadengesuch für mich machen - ach, gehen Sie doch!»
    «Und ich werde doch ein Gnadengesuch für Sie einreichen», sagte der Anwalt.
    Quangel antwortete nicht.
    «Also auf Wiedersehen!» sagte der Anwalt.
    «Kaum - oder Sie sehen bei meiner Hinrichtung zu. Sie
    sind herzlich eingeladen!» Der Anwalt ging.
    Er war abgebrüht, verhärtet, er war schlecht. Aber er hatte noch soviel Verstand, sich zuzugestehen, daß der andere der bessere Mann war.
    Das Gnadengesuch wurde aufgesetzt, Irrsinn war der Anlaß, der den Führer zur Gnade bestimmen sollte, aber der Anwalt wußte gut, daß sein Mandant nicht irrsinnig war.
    Auch für Anna Quangel wurde ein Gnadengesuch unmittelbar an den Führer eingereicht, aber dieses Gesuch kam nicht aus der Stadt Berlin, es kam aus einem kleinen, armen märkischen Dorf, und unter dem Gesuch stand: Familie Heffke.
    Die Eltern von Anna Quangel hatten einen Brief ihrer Schwiegertochter bekommen, von der Frau ihres Sohnes Ulrich. In dem Brief standen nur schlimme Nachrichten, und sie waren ohne Schonung in kurzen, harten Sätzen niedergeschrieben. Der Sohn Ulrich saß wahnsinnig in Wittenau, und Otto und Anna Quangel waren daran schuld. Die aber waren zum Tode verurteilt worden, weil sie ihr Land und ihren Führer verraten hatten. Das sind eure Kinder, eine Schande ist es, Heffke zu heißen!
    Ohne ein Wort, ohne zu wagen, sich auch nur anzusehen, saßen die beiden alten Leute in ihrer kleinen, armse-ligen
    Stube. Der Brief lag zwischen ihnen, diese Hiobs-post. Aber auch den Brief wagten sie nicht anzusehen.
    Ihr Lebtag hatten sie sich ducken müssen, kleine Landarbeiter auf einem großen Gut unter harten Verwaltern, sie hatten ein karges Leben gehabt: viel Arbeit, wenig Freude. Die Freude waren die Kinder gewesen, aus den Kindern war etwas Ordentliches geworden. Sie waren mehr geworden als ihre Eltern, sie hatten sich nicht so schinden müssen, Ulrich, der Vorarbeiter in einer optischen Fabrik, und Anna, die Frau eines Tischlermeisters.
    Daß sie kaum schrieben, sich nicht sehen ließen, das störte die Alten kaum, das war die Art aller Vögel, die flügge geworden sind. Wußten sie doch, es ging den Kindern gut.
    Und nun dieser Schlag, dieser erbarmungslose Schlag!
    Nach einer Weile streckt sich die verarbeitete, dürre Hand des alten Landarbeiters über den Tisch: «Mutter!»
    Und plötzlich stürzen bei der Greisin die Tränen: «Ach Vater! Unsere Anna! Unser Ulrich! Nun sollen sie unsern Führer verraten haben! Ich kann es nicht glauben, nie und nie!»
    Drei Tage waren sie so verwirrt, daß sie keinen Entschluß fassen konnten. Sie trauten sich nicht aus dem Hause, sie wagten nicht, jemandem ins Auge zu blicken, aus Furcht, die Schande könne schon bekanntgeworden sein.
    Dann, am vierten Tag, baten sie eine Hausnachbarin, ihr bißchen Kleinvieh zu versorgen, und machten sich auf den Weg nach der Stadt Berlin. Wie sie da die windgepeitschte Chaussee entlangwanderten, nach ländlicher Gewohnheit der Mann voran, die Frau einen Schritt hinterdrein, glichen sie Kindern, die sich in der weiten Welt verirrt haben, für die alles zur Drohung wird: ein Windstoß, ein herabfallender dürrer Ast, ein vorüberfahrendes Auto, ein rauhes Wort. Sie waren so völlig wehrlos.
    Nach zwei Tagen wanderten sie die gleiche Chaussee zurück, noch kleiner, noch gebeugter, noch trostloser.
    Sie hatten nichts erreicht in Berlin. Die Schwiegertochter hatte

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